Mein Jakobsweg
wie weiße Fäden an den Berghängen entlang und verbinden die kleinen Ansiedlungen miteinander. Im Hintergrund schiebt sich, in ein leichtes Blau übergehend, Bergkuppe hinter Bergkuppe; in weiter Ferne ist sogar ein Berg mit Schnee bedeckt.
Später werde ich gefragt, ob ich die Fotos dieser Landschaft von einem Flugzeug aus gemacht hätte, so klar und rein ist hier oben die Luft.
Abseits des Tourismus finde ich immer noch ruhige Wege und verweile lange bei der Jakobuskirche aus dem neunten Jahrhundert. Den Mittelpunkt eines Platzes direkt am Ortseingang bildet eine große Messingtafel. Es ist ein Relief mit einer Karte Europas. Sie zeigt die vielen Pilgerwege, die unseren Erdteil durchziehen und sich in einem einzigen Weg vereinigen, dem Weg nach Santiago de Compostela. Das Brandenburger Tor ist dargestellt, Big Ben, der Eiffelturm, der Petersdom. Über allen Wegen wacht wie über uns Pilgern der heilige Jakobus.
Zur Erinnerung an die Kelten stehen neben der Wehrkirche einige sehr gut erhaltene Rundhäuser, die pallozas. Ein einziger, runder Raum, ehemals fensterlos, aus grobem Naturstein, mit Strohdächern, die gegen Wind und Schnee beinahe die Erde berühren. Wege aus großen, unebenen Pflastersteinen im gleichen Grau verbinden die Bauten. Ein Haus kann man betreten. Auch dieses hat ein Strohdach, die Wände sind allerdings aus Holz und ruhen auf massiven, den Steilhang ausgleichenden Steinsockeln. Ein einziger vier mal vier Meter großer Raum mit spärlicher Einrichtung ist alles, was unsere Vor-Vorfahren zum Leben benötigten.
Durch winzige Fenster, auf jeder Seite eines, sehe ich in ein anderes Tal. Hier in dieser Höhe beginnt das Grün der Bäume gerade zu sprießen, an manchen Zweigen zeigen sich zarte Blüten.
Kälteempfindlich, wie ich bin, denke ich bei solchen Gelegenheiten immer sofort an den Winter. Unter dem rekonstruierten Haus befinden sich moderne landwirtschaftliche Geräte und viel Holz für den Winter. Doch wie sehr müssen die Menschen gefroren haben, die hier ohne moderne Technik leben mussten!
Zwischen großzügigen Andenkenläden finde ich ganz versteckt einen Lebensmittelladen, der kaum größer ist als seine Eingangstür. Im Schein der untergehenden Sonne esse ich auf einer abseits gelegenen Bank zu Abend.
Als ich zurückkomme, ist diese wirklich große Herberge hoffnungslos überfüllt. In allen Fluren haben sich die Pilger auf Isomatten ihr Lager hergerichtet, auch auf den Treppenabsätzen und den Bänken in der Küche. Mein Vorhaben, mir noch Tee zu kochen, gebe ich auf. Vor unserem Saal nächtigen Elisabeth und Tom, ein junges englisches Paar. Sie hat ein stark geschwollenes Knie, er wird ab morgen das meiste Gepäck allein tragen. Und beide hoffen auf ein Wunder.
Britta wird mit einer englischen Gruppe in einem Taxi weiterfahren, doch ich will den Abstieg wagen. Sie mahnt mich, ich müsse noch zweimal auf über 1300 Meter hoch. Aber ich will gehen und nicht schon wieder fahren.
Von O Cebreiro nach Triacastela
Und plötzlich lässt die Nachtigall
im Busch ihr Lied erklingen;
in Berg und Tal erwacht der Schall.
Emanuel Geibel
N och bevor die anderen aufstehen, sage ich der Schimmelpilzwand auf Nimmerwiedersehen und trage still und leise meine Sachen aus dem Schlafsaal. Vor der Tür packen Elisabeth und Tom schon ihre Rucksäcke. Sie haben bestimmt nicht gut geschlafen. Auf der Treppe ziehe ich mich an, verstaue meine Sachen ordentlich. Noch etwas Katzenwäsche und Zähneputzen oben im Bad, und nur 20 Minuten später stehe ich im ersten Dämmerlicht auf der Straße. Für die Landstraße, auf der ich zuerst gehen muss, ist es hell genug.
Diese Stille hier oben in den Bergen ist unglaublich. Außer meinem eigenen Schritt gibt es kein Geräusch. Dann komme ich über eine Brücke, die sehr hoch sein muss. Ich kann aber nicht erkennen, ob ich einen Fluss oder ein tiefes Tal überquere. Allmählich wird der Himmel etwas heller. Das leise einsetzende Piepen der Vögel begrüßt den Sonnenaufgang. Von Minute zu Minute steigert es sich in lauten Gesang. Um mich herum zwitschert und trillert es; der durchdringende Ruf des Kuckucks wiederholt sich immer wieder, erhält Antwort von einem anderen Berg.
Wo immer ich auch hinkam, der Kuckuck ist schon längst vor mir da. An jedem Tag meiner Reise hat er mich bisher begrüßt.
Plötzlich taucht die riesige Statue eines Pilgers vor mir auf. Ebenso riesig ist meine Überraschung: Obwohl die Figur sicher drei Meter hoch
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