Mein Jakobsweg
aufgefallen. Die Speisekarte hat mich überzeugt, deshalb gehen wir heute Abend dorthin essen. Wir sind zu früh und nehmen in der Bar einen Aperitif. Jugendstil, viel Plüsch, geschnitztes Holz an den Wänden und der Decke; elegant gekleidete Damen und Herren befinden sich in lebhafter Unterhaltung. Später wird uns in dem ebenso ausgestatteten Speiseraum ein großer runder Tisch zugewiesen; formvollendet rückt der Kellner uns die Stühle zurecht. Für einen ansonsten bescheidenen Pilger erscheint mir das fast etwas zu viel Service. Ich bestelle mir eine Suppe und Wein. Als die Rechnung kommt, stelle ich überrascht fest, dass es die preiswerteste Mahlzeit meiner bisherigen Reise war.
Gemeinsam besprechen wir die folgende Strecke. Beim nächsten Pass geht es auf eine Höhe von mehr als 1500 Meter. Viele Kilometer muss man immer nur bergauf gehen. Der Weg führt durch eine ganz einsame und ursprüngliche Gegend. Wenn der Anstieg nicht wäre, würde ich so gern durch diese einzigartige Landschaft pilgern. Aber meine Kräfte reichen für solche Anstrengungen einfach nicht aus; das muss ich akzeptieren.
Für diese Strecke hatte ich mir zu Hause schon den Bus notiert. Durch die ganz entlegenen Ortschaften entlang dieses Weges fahren die Busse aber nicht. Jedenfalls nicht auf einer Route, die so sehenswert ist, wie man sie gern hätte. Deshalb fahren wir, wenn auch schweren Herzens, gleich von Astorga direkt bis Ponferrada.
Von Astorga nach Cacabelos
Ich setzte mich in einen Zwischenraum der Zeit.
Federico García Lorca
N ach knapp zwei Stunden Fahrt kommen wir auf dem Busbahnhof in einem Industriegebiet von Ponferrada an. Das Erreichen der Templerburg, die ich mir unbedingt ansehen will, gestaltet sich schwieriger, als ich dachte. Es geht immer bergauf inmitten von dröhnendem Straßenlärm. Zu unserem Kummer erhalten wir auch noch Wegbeschreibungen in völlig unterschiedliche Richtungen. Und das, obwohl ich jedem, den ich frage, das Foto von dieser Templerburg zeige! Schließlich landen wir auf einem großen und außergewöhnlich stark besuchten Wochenmarkt. Mit den Rucksäcken wollen wir uns hier nicht auch noch durchzwängen, also gehen wir wieder zu einer Hauptstraße zurück. Und endlich kommt die Templerburg in Sicht. Wir müssen nur noch über eine Brücke, die sich hoch über den Fluss Sil und die Bahngleise spannt.
Die gewaltig hohen Mauern und Türme lassen die kriegerischen Auseinandersetzungen des Mittelalters erahnen. Schon die bloße Ahnung macht mir klar: Gelebt haben möchte ich zu dieser Zeit nicht. Auf den ersten Blick scheint die Burg sehr gut erhalten, aber innen ist nicht wirklich viel zu sehen. Dennoch bin ich froh, dort gewesen zu sein.
Nur ein paar hundert Meter weiter wäre die Herberge. Aber es ist noch nicht mal zwölf Uhr, und eigentlich könnten wir noch ein gutes Stück gehen. Unschlüssig, was wir tun wollen, trinken wir erst mal Kaffee. Kaffee ist immer gut, sagt Britta. Offenbar hat sie recht, denn beim Kaffeetrinken finden wir zu einer Entscheidung. Ich schlage vor, ein Taxi zu bestellen, das uns aus dieser ungemütlichen Stadt hinaus - und im nächsten Dorf zum Camino bringt. Britta stimmt zu: Auch sie möchte möglichst schnell fort von hier.
Adiós, Ponferrada! Schon pilgern wir durch eine traumhafte Landschaft mit kleinen Orten, Obstbäumen und gepflegten Gärten. Der Weg führt an kleinen Bachläufen und Kornfeldern entlang. An den Hängen sanfter Hügel wächst der Wein. Wir könnten in Südfrankreich sein. Am fernen Horizont, vor stahlblauem Himmel, glitzert auf dunklen Bergen der Schnee im Sonnenlicht.
Die Sonne jedoch brennt heute erbarmungslos, die Luft flirrt in der Hitze. Britta muss wieder andauernd rasten, und wir kommen nicht voran.
Wir müssen aus dieser Hitze raus, sage ich zu ihr, lass uns mal ein längeres Stück gehen.
Aber sie braucht schon wieder ein paar Minuten Ruhe, und wieder sitzen wir im Gras und sind untätig der prallen Sonne ausgesetzt.
Und dann streikt mein Körper. Die letzten Kilometer über eine aufgeheizte Landstraße werde ich so schnell nicht vergessen: Hitze von oben und von unten. Ich könnte unter dem Schatten großer Bäume gehen, rechts oder links der Straße. Aber da ist der Weg uneben, und ich stolpere andauernd, so gehe ich weiter über diesen heißen Teer. Und im Geflimmer der Mittagshitze verlieren sich Straße und Häuser. Britta hat keine Probleme, sie ist immer etwas vor mir, kann sich im Schatten ausruhen,
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