Mein Katalonien
gegnerische Schätzung würde sie wahrscheinlich durch vier teilen. Das einzige, was sich mit einiger Gewißheit über die Mitgliedszahlen der politischen Parteien Spaniens sagen läßt, ist, daß jede Partei ihre eigene Stärke überschätzt.
Sie hatte außerhalb Kataloniens nicht viel Einfuß und war hauptsächlich deshalb wichtig, weil sie eine ungewöhnlich große Anzahl politisch überzeugter Mitglieder hatte. Ihre Hochburg in Katalonien war Lerida. Sie vertrat keinen besonderen Block der Gewerkschaften. Die Milizsoldaten der P.O.U.M. waren hauptsächlich Mitglieder der C.N.T. aber die eigentlichen Parteimitglieder gehörten meistens der U.G.T. an. Aber nur in der C.N.T. hatte die P.O.U.M. einen gewissen Einfluß. Die Parteilinie der P.O.U.M. lautete ungefähr so: »Es ist Unsinn, davon zu sprechen, dem Faschismus durch eine Bourgeois-›Demokratie‹ entgegenzutreten. Bourgeois-›Demokratie‹ ist nur ein anderer Name für Kapitalismus, genauso wie der Faschismus. Im Namen der Demokratie gegen den Faschismus zu kämpfen heißt im Namen einer Form des Kapitalismus gegen eine zweite zu kämpfen, die sich zu jeder Zeit in die erste verwandeln kann. Die einzig wirkliche Alternative zum Faschismus ist die Ausübung der Kontrolle durch die Arbeiter. Wer sich irgendein kleineres Ziel als dieses setzt, wird entweder Franco den Sieg aushändigen oder im besten Falle den Faschismus durch die Hintertür hereinlassen. Vorläufg müssen die Arbeiter an jedem Stückchen festhalten, das sie errungen haben. Wenn sie irgend etwas wieder der halbbürgerlichen Regierung überlassen, können sie sicher sein, daß sie betrogen werden. Die Milizeinheiten und die Polizeikräfte der Arbeiter müssen in ihrer augenblicklichen Form erhalten bleiben, und jedem Versuch, sie zu verbürgerlichen, muß Widerstand geleistet werden. Wenn die Arbeiter die Streitkräfte nicht kontrollieren, werden die Streitkräfte die Arbeiter kontrollieren. Der Krieg und die Revolution sind untrennbar.«
Die anarchistische Einstellung läßt sich weniger leicht definieren. Der ungenaue Begriff Anarchisten wird jedenfalls benutzt, um eine Vielzahl von Leuten mit sehr unterschiedlichen Ansichten zu bezeichnen. Der riesige Block der Gewerkschaften der C.N.T. (Confederación Nacional de Trabajadores) mit rund zwei Millionen Mitgliedern hatte als politisches Organ die F.A.I. (Federación Anarquista Ibérica), eine durchaus anarchistische Organisation. Aber selbst die Mitglieder der F.A.I. waren zwar, wie vielleicht die meisten Spanier, von der anarchistischen Philosophie angehaucht, aber nicht notwendigerweise Anarchisten im reinsten Sinne. Besonders seit Beginn des Krieges hatten sie sich mehr in die Richtung des gewöhnlichen Sozialismus bewegt, weil die Umstände sie gezwungen hatten, an einer zentralisierten Verwaltung teilzunehmen und sogar ihre sämtlichen Prinzipien zu brechen, indem sie in die Regierung eintraten. Trotzdem unterschieden sie sich von den Kommunisten grundsätzlich dadurch, daß sie wie die P.O.U.M. die Kontrolle durch die Arbeiter verwirklichen wollten und nicht eine parlamentarische Demokratie. Sie akzeptierten das Schlagwort der P.O.U.M.: »Der Krieg und die Revolution sind untrennbar«, obwohl sie weniger dogmatisch darüber dachten. Grob gesagt, hießen die Ziele der C.N.T.-F.A.I.:
1. Ausübung der direkten Kontrolle über die Industrie durch die Arbeiter in den einzelnen Industriezweigen, also im Transportwesen, in den Textilfabriken und so weiter;
2. Regierung in der Form örtlicher Ausschüsse und Widerstand gegen jegliche Form zentralisierter autoritärer Regierungsgewalt;
3. kompromißlose Gegnerschaft gegen die Bourgeoisie und die Kirche.
Der letzte Punkt, obwohl der am wenigsten präzise, war der bedeutendste. Die Anarchisten waren genau das Gegenteil der meisten sogenannten Revolutionäre, weil ihre Prinzipien zwar ziemlich vage, ihr Haß auf Privilegien und Ungerechtigkeit dagegen vollständig echt war. Weltanschaulich sind Kommunismus und Anarchismus polare Gegensätze. In der Praxis, das heißt in Bezug auf die beabsichtigte Gesellschaftsform, liegt der Unterschied hauptsächlich in der Betonung, aber er ist nicht zu überbrücken. Die Kommunisten betonen immer den Zentralismus und den Nutzeffekt, die Anarchisten Freiheit und Gleichheit. Der Anarchismus ist in Spanien tief verwurzelt und wird wahrscheinlich den Kommunismus überdauern, wenn der russische Einfuß zurückgenommen wird. Gerade die Anarchisten hatten
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