Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
wie das denn zugegangen sei – was er aber auch nicht wusste. Dann frage ich ihn, seit wann das denn besser geworden sei. Da strahlte er über das ganze Gesicht und sagte: »Seitdem ich das Fitness-Studio gewechselt habe – ich gehe jetzt in den Nachbarort, da ist es viel netter! Da habe ich ein paar Leute kennengelernt, die treffe ich auch sonst immer mal, das ist richtig gut!«
Da war offenbar etwas in Bewegung geraten!
Eine Krankenschwester mit häufigen schweren Spannungskopfschmerzen sagte auf die Frage, was ihr dann helfen würde: Wenn ich mit meinem Hund rausgehe, Stöckchen werfe und wenn ich dann sehe, wie er springt und sich freut, dann wird mein Kopf freier. Neurophysiologen sprechen seit einiger Zeit von Spiegel-Neuronen: Sie lassen uns fühlen, was ein Gegenüber fühlt (Joachim Bauer 2008), und darauf reagiert auch der Körper.
Nun noch ein paar Worte zur Diagnose Fibromyalgie – was aus Patientensicht so viel heißt wie: alles tut weh. Hiervon sind besonders Frauen betroffen. Bei der Fibromyalgie haben wir es mit einem Erstarrungsphänomen der besonderen Art zu tun: Es sind nämlich nicht nur die festgehaltenen Muskelfasern, die wehtun, auch andere vegetative Funktionen sind festgefahren. Allerdings passiert dies niemals schnell oder gar anfallsartig, sondern schleichend und diskontinuierlich. Das heißt, dass anfangs Störungen auftreten, meist diffuse, umherwandernde Schmerzen, dann aber wieder alles normal funktioniert. Die Störungen kommen und gehen also, mal sind sie hier, mal dort an verschiedenen Körperorten. Meist spürt man sie zuerst in Armen und Beinen, also der Peripherie – sie sind nicht zu orten, nicht zu interpretieren, nicht zu diagnostizieren. Wenn eine gewisse Anzahl von definierten Körperpunkten druckempfindlich ist, dann stellt man die Verlegenheitsdiagnose Fibromyalgie. Was zu wenig beachtet wird, ist die vegetative Erstarrung. Das Vegetativum kann in der Erstarrung noch weniger gut funktionieren als die Muskulatur: Es ist auf den Wechsel, d. h. seinen Eigenrhythmus, angewiesen.
Das vegetative Nervensystem ist hochgradig flexibel, denn es sorgt dafür, dass sich die lebenswichtigen Funktionen – wie etwa der Atem, der Pulsschlag, der Muskeltonus – an veränderte Anforderungen der Umwelt und der Lebenstätigkeiten anpassen. Zum Beispiel die Wärme-Kälte-Anpassung: Wenn diese Regulationsfähigkeit nicht gut ausgeprägt ist, haben (vor allem) Frauen häufig kalte Hände und Füße. Das ist konstitutionell angelegt und beruht auf schlechter peripherer Durchblutung, während die Wärme sich in den inneren Körper zurückzieht. Da helfen meist auch Socken und Handschuhe wenig – aber Regulationstherapien wie Qigong, Yoga, Atemtherapie, aber auch Ausdauersport sind nützliche Maßnahmen.
Bei einer fortgeschrittenen Fibromyalgie mit ausgeprägter Regulationsstarre im Wärme-Kälte-Ausgleich versucht man, in der Kältekammer einen massiven Impuls zu setzen, um zu versuchen, das System wieder in Schwung zu bringen, was manchmal gelingt.
Es gibt Checklisten für die Aufzeichnung von Befindlichkeitsstörungen, die vorwiegend vegetative Störungen sind – Fibromyalgie-Patientinnen geben da viele Beschwerden an.
Wenn wir nun die Unbeweglichkeitsannahme auf dieses Beschwerdebild anwenden, dann stellen wir fest, dass es davor beschwerdefreie Zeiten gab – eine Symptom-Lücke, die in der Vergangenheit liegt. Sehr oft beginnen die Schmerzen, wenn irgendeine Art von Einengung beginnt.
Letzthin rief mich eine Frau mit einer sehr jungen Stimme an – sie war tatsächlich erst 36 – und fragte um Beratung nach wegen Fibromyalgie – dafür war sie eigentlich noch zu jung. Auch die Fibromyalgie war noch nicht alt, erst drei Jahre, was der jungen Frau aber lang vorkam. Ich bat sie, einmal nachzudenken, was sich in ihrem Leben verändert hatte, als nach und nach die ersten Symptome aufgetreten waren. Sie sagte: »Ja, also vor etwa vier Jahren bin ich mit meinem Freund zusammengezogen, das wollte ich gern, und eigentlich ist das auch sehr gut.« Auf das Wort »eigentlich« muss man immer hören. Als ich sie darauf ansprach, dass diese Schmerzen erfahrungsgemäß immer etwas mit festhalten, an etwas festhalten, unbeweglich sein usw. zu tun haben, sagte sie: »Ja, das ist das Einzige, was ich eigentlich nicht haben kann: Ich muss immer da sein oder sagen, wo ich gerade bin, wann ich wiederkomme, ich geh schon gar nicht mehr allein weg. Aber jetzt habe ich mich schon dran gewöhnt
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