Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
buchstäblich zusammenbrechen muss, sollte man aufmerksam werden.
Dann muss man selbst, und zwar konsequent, eine Unterbrechung, sprich lange Pause, einplanen und einhalten. Zum Beispiel einen freien Tag in der Mitte der Woche, damit die Belastungszeiten nicht weiterhin zu lang sind.
Oder man lernt, sein Erregungsniveau wahrzunehmen und, wenn es überzuschießen droht, rechtzeitig und konsequent herunterzuregulieren: eine Pause einlegen, aus der Konzentration herausgehen, in die Ferne schauen, entspannen, Musik hören. Qigong mit strenger Atemregulation hilft mir zum Beispiel am besten, einen Migräneanfall zu vermeiden.
Unser Nervensystem ist auf rhythmische Ausgewogenheit von Erregung und Entspannung, von Sympathikus und Parasympathikus angewiesen, wenn es gut und situationsangemessen funktionieren soll. Wenn der Organismus auf eine unverträgliche Übersteuerung mit einem Schutzreflex reagiert und damit einen großen Systemzusammenbruch provoziert, so tut er das, um seine ausgewogene Funktionsfähigkeit wiederzugewinnen. Dann nämlich geht es dem Menschen eine ganze Weile wieder gut, er ist gesund. Und die individuellen Migräne-Auslöser lösen dann keine Migräne aus! Das Nervensystem reagiert eine ganze Weile, als wäre es so robust wie das anderer Leute.
Früher, als man noch wenig über die Dynamik eines Migräneanfalls wusste, wurde viel über die Auslöser geforscht und nachgedacht. Und tatsächlich kennt ja jeder sensible Mensch solche Auslöser, die bei ihm das Fass zum Überlaufen bringen: Stress, Ärger in sozialen Beziehungen, Enttäuschung, ängstliche Erwartung, freudige Erregung, kurz, alles, was aufregt. Bei Kindern zählen zu den Migräne-Auslösern auch Kindergeburtstage und andere spannende Ereignisse. Sportliche Wettkämpfe ziehen Entspannungsmigräne nach sich, und eigener Ehrgeiz – meistens nicht der der Eltern – lässt die Anfallshäufigkeit ansteigen.
Aber auch alles Plötzliche und Unordentliche können das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen bringen: Das Wetter zum Beispiel ist oft ziemlich unordentlich und unzuverlässig, und das kann ein Migränehirn nicht leiden. Bei vielen ist es ein Wetterumschwung, bei manchen Frauen ist es der monatliche Hormonabbruch kurz vor der Menstruation, und oft ist es auch ein unregelmäßiges Ess-, Trink- oder Schlafverhalten: Sonntags lang ausschlafen, wenn man während der Woche gewöhnt ist, früh aufzustehen, wird bestraft.
Wohingegen der Organismus regelmäßige Rituale, auf die er sich verlassen kann, sehr schätzt. Man sagt, Migräne-Patientinnen seien zwanghaft ordentlich – was stimmt. Es ist der instinktive Versuch, die äußere Umgebung in Ordnung zu halten, was anstrengend und nur vorübergehend erfolgreich ist – und seinerseits als Überbelastung und Migräne-Auslöser fungieren kann. Mit »Ordnungsliebe des Organismus« ist aber gemeint, die rhythmischen Eigenschwingungen des Organismus und der Psyche zuzulassen und nicht zu stören.
Auch Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten gelten als Migräne-Auslöser, ebenso wie Nahrungsmittel allergische Reaktionen auslösen können. Solche Reaktionen fluten, wie die Migräne auch, schnell an, sind abrupt und heftig. Ebenso asthmatische Anfälle, die sich bei Kindern manchmal mit Migräne abwechseln, was auf einen analogen Mechanismus hinweist. Bei all diesen Reaktionen kann man annehmen, dass es sich um körperliche Panikreaktionen handelt.
Noch ein Wort zur Schokolade: Nicht wenige Menschen denken, Schokolade löse ihre Migräne aus. Dann sagt man: »Essen Sie doch einfach keine mehr.« Darauf sagen sie: »Aber ich habe manchmal einen richtige Heißhunger auf Schokolade – oder andere Süßigkeiten, Sahnetorte z.B. –, dem kann ich nicht widerstehen.«
So ist es. Was sie nicht wissen: Es ist ihr Körper, der das Süße verlangt – daher der Heißhunger, auch Craving-Verhalten genannt –, damit er schneller zusammenbrechen kann, denn genau das will er. Er zwingt gewissermaßen seinen Menschen zu einer Art Überstimulation, um schneller auf den Gipfel seiner Erregung zu gelangen, von wo aus er abstürzen kann. Ähnlich ist es auch mit dem bekannten High-Gefühl kurz vor einem Anfall, einem inneren Stress, der kognitive Hochleistungen ermöglicht, weshalb die Betroffenen sehr gut arbeiten und nicht damit aufhören können – bis der Zusammenbruch da ist. Dem Organismus macht so ein Anfall nämlich wenig aus – er weiß, dass er sich dann erholen kann, und möchte – ab einem
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