Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
– überhöhten Anforderungen, Anpassungsdruck, Vertrauensbruch, sexuellen Missbrauch, Mobbing –, auch noch dafür beschämt fühlen?
Pubertät
Wenn die Kinder größer werden, spätestens in der Pubertät, ändert sich die Szene grundlegend. Sie wenden ihren Unmut nach außen, da sie sich des »Draußen« bewusst werden. Die Welt und auch die eigene Familie verlieren ihre unhinterfragte Selbstverständlichkeit: Nun reagiert nicht mehr (nur) der Organismus, sondern der junge Mensch als Person, soweit sich diese bis dahin herausgeformt hat. Ihnen eröffnet sich ein Bewusstsein, eine neue Art der Urteilskraft, bei der das Großhirn mitmischt. Sie reflektieren ihren Bezug zur Welt draußen und zu sich selbst nach innen – und sehr oft leiden sie darunter, sind enttäuscht, fühlen sich hintergangen, weil sie vorher so vertrauensselig waren, alles, was man ihnen sagte, treuherzig zu glauben. Das nehmen sie ihren Eltern übel. Sie wissen auch sehr gut, dass die Welt anders sein sollte, als sie ist, und auch dafür machen sie ihre Eltern verantwortlich. Je selbstsicherer und bestimmender die Eltern vorher waren, umso mehr werden sie jetzt infrage gestellt.
Während das kleine Kind, zumindest wenn es ungestört spielen durfte, ganz bei sich war, müssen sich die Mädchen und Jungen nun daran gewöhnen, sich bewusst kennenzulernen. Dass das zu Wut und Abwehr gegenüber den Erziehern führt – von denen sie ja weitgehend »gemacht« worden sind –, liegt sehr nahe. Daher kommt die seltsame Haltung der Jungen, dass ihnen plötzlich ihre eigenen Eltern peinlich werden – sie sich selbst übrigens auch, was sie aber sogleich eben diesen Eltern anlasten können. Hinzu kommt natürlich zur rechten Zeit ein großes hormonelles Durcheinander, was sich auf die Stimmung schlägt, das zielgerichtete Denken erschwert und den ganzen Wachstumsprozess, innerlich wie äußerlich, »verzerrt«. Manchmal empfinden sich diese jungen Menschen, als wären sie schon ganz erwachsen, ja den Erwachsenen schon weit voraus, dann wieder haben sie Anlehnungsbedürfnisse, als wären sie gerade mal drei Jahre alt.
Zudem sollen die Kinder in der Schule funktionieren, als wäre alles in bester Ordnung – ist es aber nicht! Dass es da zu Schwierigkeiten kommt, und zwar aufseiten der Kinder und der Erwachsenen, liegt auf der Hand und kann in jedem gescheiten Buch über die Pubertät nachgelesen werden. Mit Bezug auf die psychosomatischen Störungen, die in dieser Zeit auftreten, gibt es noch Erklärungsbedarf.
Ich sehe das so: Wenn wir bisher davon ausgegangen sind, dass der Körper immer recht hat – dass man ihm aber nicht immer nachgeben kann und sollte, sondern mit ihm verhandeln muss: ihn also fragen, was er braucht, ihm entgegenkommen, ihn trösten und vertrösten –, so können wir das auf die Pubertierenden nahtlos übertragen. Sie haben, aus ihrer eigenen Sicht, immer recht, verfechten ihre Meinungen mit Vehemenz und sind nicht in der Lage, Ambivalenzen zu ertragen: sie argumentieren schwarz oder weiß. Die Aufgabe der Erwachsenen wäre es nun, dieses strikte Entweder-oder aufzulösen in ein Einerseits – andererseits, ein Sowohl-als-auch, Kann so sein – kann aber auch ganz anders sein. Also mit der Gelassenheit der fortgeschrittenen Erfahrung und mit respektvollem Humor darauf zu bestehen, dass die eigene Sicht vielerlei Facetten hat, und gleichzeitig zu würdigen, dass die harschen und einseitigen Forderungen der Jungen eine wichtige Errungenschaft darstellen. Und dass der Weg ins Erwachsenendasein auch für einen selbst durch schmale Gassen geführt hat, in denen man keine so weiträumige Umsicht haben konnte. Eltern können in dieser Zeit noch einmal herzeigen, wie sie zu ihren eigenen Standpunkten gefunden haben. Falls sie aber der Meinung sind, sie könnten sie unhinterfragt einfach vertreten und wie einen unverrückbaren Felsen in die Brandung stellen, wo sich ihre Kinder die Köpfe anstoßen, können sie sich auf etwas gefasst machen. Dann wird es nämlich darum gehen, wer die stärkeren Argumente hat – nicht die besseren!
In diesem Alter stellen die »Störungen« nämlich die Machtfrage, und zwar ohne Rücksicht auf eigene Verluste. Sie sagen zu den Eltern: Seht ihr – da fällt euch nix mehr ein! Denken wir zum Beispiel an die Essstörungen bei den Mädchen, oder das Ritzen der Haut, oder das Koma-Saufen bis zur Bewusstlosigkeit bei Jungen und zunehmend häufiger auch bei Mädchen, Schule verweigern, abhauen – alles
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