Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
Und willige ein. Denn wer in seinen Tod einwilligt, stirbt leicht. Einwilligen kann man aber nur, wenn man gelebt hat – denn das Leben hergeben kann nur einer, der es auch hatte.«
Nun, wenn der Lebensbogen sich wendet und der Blick sich weitet, kommen auch andere Wünsche und Bedürfnisse hervor: Das noch nicht gelebte Leben meldet sich, damit es seine ganze Fülle gewinnen kann.
Und falls Sie vorhin erschrocken sind, dass das schon mit um die 50 anfängt, so sagen Sie zu sich: gemach, gemach, alles zu seiner Zeit, nun wollen wir zuerst einmal das Hochplateau genießen – aber eines ist gewiss: Der Zenit ist überschritten. Und lassen Sie die Träume der zweiten Lebenshälfte hervorkommen. Sie werden sich wundern: Damit hätten Sie mit dreißig nicht gerechnet.
Genauso, wie das Leben eines kleinen Kindes sich in die Welt hinein entwickelt – leider interessiert sich die wissenschaftliche Entwicklungspsychologie fast nur für die kognitive und nicht gleichermaßen für die emotionale und soziale Entwicklung des Kindes –, so geht die Entwicklung im Erwachsenenalter weiter. Für junge und ältere Erwachsene hat die Psychologie fast nur noch therapeutische Ratschläge zur Hand, wie man es hinkriegt, sich den Erwartungen der Ausbilder, des Ehepartners, der Gesellschaft in ihren verschiedenen Strömungen anzupassen bzw. ihnen gerecht zu werden. Jeder Mensch muss sich aber auch wieder aus der Welt hinaus entwickeln. Während anfangs das Hineinwachsen viel Anpassung erforderlich macht, werden nun die einzelnen Menschen individuell – eigenartig –, sie kommen zu sich, wenn es gut geht.
Es stellt sich heraus, wer sie wirklich sind, was sie wirklich brauchen, was sie sich nur wegen der äußeren gesellschaftlichen Anforderungen angetan haben, worauf sie gut verzichten können und worauf keinesfalls. Dass das wiederum eine große Herausforderung ist und ebenso viel, wenn nicht sogar mehr Mut erfordert wie bei den Kindern, liegt auf der Hand. Jetzt zeigt es sich, ob das Krokodilshirn überlebt hat. Es ist aber nicht mehr allein zuständig, sondern gepaart mit all der Lebenserfahrung, einer autonomen – d. h. von äußeren Regeln unabhängigen – Moral und der ganzen souveränen Persönlichkeit, die sich bis dahin im Strom der Zeit entfaltet hat. Diese Zusammenarbeit des Bauches mit dem Großhirn nennt man Intuition. Wenn nach und nach das intuitive Handeln Vorrang gewinnt, dann wird das Gehen leicht. Insofern ist das leichte Gehen nicht nur ein schönes Bild, sondern hat seine Entsprechung in einem Lebensgefühl, das nicht mehr bei jedem Schritt nachdenken oder gar grübeln muss, wie die Entscheidung getroffen werden muss. Man geht dann in traumwandlerischer Sicherheit und kann »die Aussicht« genießen.
Wenn einer aber in dieser Lebensphase denkt: »Jetzt habe ich den Aufstieg geschafft, der Erfolg ist da, die finanzielle Sicherheit auch, jetzt kann alles so bleiben und ich mich auf meinen Lorbeeren ausruhen«, dann hat er sich geirrt, denn sein Organismus passt auf und lässt es nicht zu. Im Klartext: Die Seele hat Interesse an ihrer eigenen Weiterentwicklung und schickt über den Körper, der in wichtigen Angelegenheiten eher auf sie hört und nicht auf Sie, eine Störung, also wieder ein Symptom, das Sie daran hindern wird, so weiterzumachen wie bisher. Aus meiner Sicht haben die meisten Altersbeschwerden genau diese Funktion.
Es gibt nicht wenige Menschen, die dann sagen, jetzt hätte ich es endlich mal etwas gemütlicher haben können, und nun das – naja, das ist eben das Alter. Glaub ich nicht!
Wohlgemerkt, ich spreche hier nicht über schwerwiegende Erkrankungen, sondern über psychosomatische Störungen, die nicht ohne Grund kommen und auch wieder gehen. Dazu erzähle ich ein paar Geschichten.
Zum Beispiel von jenem Patienten, der, schon über 80, überhaupt nicht mehr ruhig schlafen konnte. Er wurde in jeder Nacht mehrmals abrupt aus dem Schlaf gerissen – in den er leicht hineinfand – durch eine ihm ganz unverständliche Panik, er hatte Angstzustände, die er nicht deuten konnte, schwitzte, musste aus dem Bett heraus und umhergehen, was aber nicht viel nützte, konnte sich nur langsam beruhigen und nur schwer wieder einschlafen. Das hatte zur Folge, dass er tagsüber immer müde war und, obwohl ein aktiver Mensch mit geistigen Interessen, auch am Tag nicht gut leben konnte. Dieser Mann war früher ein bekannter und sehr geschätzter Orchesterdirigent gewesen – nun natürlich schon seit
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