Mein Koerper und ich - Freund oder Feind
nicht ganz falsch, die Wechseljahre als zweite Pubertät zu bezeichnen, denn nun gerät wiederum einiges durcheinander – körperlich und in der Psyche. Wie in der ersten Pubertät ist es eine Zeit der radikalen Selbstbezogenheit: Während damals alle begehrten Schätze der Welt herbeigewünscht wurden, und zwar sofort, werden nun das Nichtgehabte und die Verluste bemerkt und betrauert. Bei den Frauen kann das Bewusstsein vom Versiegen der Fähigkeit, Kinder zu bekommen, schmerzhaft sein oder en passant vonstatten gehen. Der Beginn der Wechseljahre kann mit Aufregung oder Gelassenheit registriert werden, und, wenn etwas fehlt oder verloren gegangen ist, ein Kind, die Schönheit der Jugend, die Attraktivität, die Lust am Wettlaufen und Gewinnen, kann das schon arg traurig stimmen. Analog zu den hormonell bedingten und anderen psychischen Verstimmungen schickt der Körper die typischen Beschwerden – und hört nach einiger Zeit wieder damit auf, genauso wie in der ersten Pubertät, wenn sich alles wieder eingependelt hatte. Viele Frauen fangen in dieser Zeit noch etwas Neues an, achten mehr auf sich und beginnen damit, besser für sich zu sorgen, werden unabhängiger von der Meinung anderer und orientieren sich zu sich selbst hin.
Auch Männer fangen in dieser Zeit noch etwas Neues an, nicht so sehr mit sich selbst als mit dem, was sie besitzen wollen. Sie haben den unabwendbaren Drang nach einem neuen Auto, einem neuen Leben, einer neuen Frau, einer neuen Sexualität, so als wollten sie noch einmal von vorne anfangen – was sie oft auch genauso sagen.
Letzthin traf ich in einer Therapiegruppe auf einen pensionierten Lehrer, einen sehr ansehnlichen und sympathischen älteren Mann, der sich zu Wort meldete, als einige Frauen über ihre Wechseljahresbeschwerden berichteten: »Männer haben das auch!« Er erzählte, dass er vor ein paar Jahren eine viel jüngere Freundin gehabt habe und dass das für seine Frau eine schwierige Zeit gewesen sei, aber sie habe ihm verziehen und jetzt sei ihre Beziehung wieder sehr gut. Einige der anwesenden Frauen reagierten verwundert und einige ein wenig abwertend, und da sagte er: »Das war nicht der Sex! Es war ihre Jugend! Es ist schwer, wenn einem die Jugend verloren geht – meine Frau hat das irgendwie verstehen können. Es geht uns doch allen so.« So ist es. Und wenn es denn so ausgeht, mag es ja angehen.
Die erste Pubertät kann man gewissermaßen »aussitzen«, sie findet innerhalb der Familie statt, und deren Kontinuität ist durch pubertierende Jugendliche nur selten gefährdet, bei der zweiten ist das oft nicht der Fall: Da fängt so mancher – auch manche – noch mal »von vorne« an, wobei er oder sie gewachsene Beziehungen und ganze Familiensysteme zerstört, und wenn die Kinder noch nicht in ihrem eigenen Leben und auf eigenen Beinen stehen, kann das für viele der Beteiligten schwerwiegende Folgen haben. Man sagt ja oft, dass manche, wenn sie älter werden, noch was »nachzuholen« haben – mir scheint, dass daran etwas Wahres ist, denn im Laufe des Lebens hat alles seine Zeit. Wenn Eltern sich freuen, dass ihre Kinder während der Pubertät sich überhaupt nicht auflehnen, stattdessen gut angepasst und brav sind und in ihren jungen Jahren nicht über die Stränge schlagen, nichts riskieren und keinen Unsinn treiben, dann ist das fürs Erste sehr angenehm – irgendwann soll es vielleicht nachgeholt werden, und dann ist die zweite Pubertät genau die Zeit dafür.
Dabei ist dieser Übergang, wenn man ihn im Sinne einer Entwicklungsaufgabe betrachtet, dafür da zu merken, dass nun die Wendung nach innen, hin zu den Schätzen der eigenen Seele beginnen soll, nachdem man in der ersten Lebenshälfte die Welt da draußen erobert und für sich vereinnahmt hat.
Lebenswende
Im Zuge der Lebenswende wird es dann noch einmal spannend: Da heißt es die Kurve kriegen. Wohin? Bergab!
Zwar sagen uns die Hirnforscher, dass es mit unserem Großhirn schon ab 20 abwärts geht, mittlerweile hat sich das aber als ein Gerücht erwiesen. Es kommt beim Gehirn wie bei allen anderen Organen darauf an, wie man es benutzt.
Dennoch ist es eine nicht zu verleugnende Tatsache, dass es eine Abwärtsbewegung geben muss, soll sich der Lebensbogen des Menschen vollenden. Wenn dann ein Mensch zu mir kommt und sich beklagt, dass er nicht mehr so weitermachen kann wie bisher – was besonders die erfolgreichen Männer gern täten –, dann erzähle ich immer die Geschichte von dem
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