Mein Leben
uns. Die Auswirkungen, die sein Tod auf uns hatte, waren gewaltig. Einige sagen, dass an diesem Tag die Musik gestorben sei. Aber für mich schien sie sich gerade erst zu entfalten.
Die Kunsträume der Hollyfield Road School waren in einem eigenen Trakt untergebracht, der ein paar Schritte die Surbiton Hill Road hinauf lag. An Tagen, an denen Malen, Bildhauerei oder Zeichnen auf dem Stundenplan stand, kamen wir angeführt von unserem Lehrer auf dem Weg dorthin immer an Bell’s Music Store vorbei, der sich mit dem Verkauf von Akkordeons einen Namen gemacht hatte, als das Instrument noch in Mode war. Als dann Mitte der Fünfziger Lonnie Donegan mit Titeln wie »Rock Island Line« und »The Grand Coulee Dam« den Skiffle-Boom auslöste, spezialisierte sich Bell’s auf Gitarren, und ich blieb jedes Mal stehen, um die Instrumente im Schaufenster zu betrachten. Da die Musik, die mir gefiel, meistens Gitarrenmusik war, wollte ich unbedingt Gitarre lernen und lag Jack und Rose damit in den Ohren. Vielleicht wollten sie nur ihre Ruhe haben, jedenfalls fuhren wir eines Tages mit dem Bus nach Surbiton, und sie zahlten das Instrument an, das ich als die Gitarre meiner Träume ausgeguckt hatte.
Es war eine in Deutschland gebaute Hoyer, die ungefähr zwei Pfund kostete. Es war ein seltsames Instrument, das aussah wie eine klassische Gitarre, jedoch keine Nylon-, sondern Stahlsaiten hatte, eine eigentümliche Kombination, die einem Anfänger das Spielen ziemlich schwer machte. Es war natürlich ein klassisches Das-Pferd-von-hinten-Aufzäumen, denn ich konnte die Gitarre nicht einmal stimmen, geschweige denn darauf spielen. Und ich hatte auch niemanden, der es mir zeigen konnte, also brachte ich es mir selbst bei, was nicht leicht war.
Zum einen hatte ich nicht erwartet, dass die Gitarre so groß sein würde, beinahe so groß wie ich. Wenn ich sie festhielt, schaffte ich es nur mit Mühe, meine Hand um den Hals zu legen. Außerdem war sie wegen ihrer hohen Saitenlage sehr schwer spielbar. Ich war überwältigt von der Erkenntnis, dass die Gitarre ein kaum zu bewältigendes Instrument war. Trotzdem war ich unglaublich aufgeregt. Die Gitarre glänzte und hatte irgendwie etwas Jungfräuliches. Sie war ein Instrument aus einem anderen Universum, unendlich glamourös, und wenn ich versuchte, darauf zu spielen, hatte ich das Gefühl, die Schwelle zur Welt der Erwachsenen zu überschreiten.
Der erste Song, den ich lernte, war »Scarlet Ribbons«, ein Folksong, den Harry Belafonte populär gemacht hatte, aber ich kannte auch eine bluesige Version von Josh White. Ich lernte ausschließlich nach Gehör, indem ich zu Schallplatten mitspielte. Ich hatte ein kleines tragbares Tonbandgerät von Grundig, mein ganzer Stolz, das Rose mir zum Geburtstag geschenkt hatte, auf dem ich meine Versuche aufnahm und immer wieder abhörte, bis ich das Gefühl hatte, es richtig hinbekommen zu haben. Das alles wurde dadurch erschwert, dass meine Gitarre, wie ich später begriff, nicht besonders gut war. Ein teureres Instrument hätte eine flachere Saitenlage gehabt, was die Bewegung der Finger erleichtert hätte, aber bei einem billigeren oder schlechter gebauten Instrument liegen die Saiten oben am Hals dicht über dem Griffbrett, zum Steg hin jedoch immer höher, und es ist schmerzhaft, sie beim Spielen runterzudrücken. Außerdem erwischte ich einen schlechten Start, weil gleich eine der Saiten riss und ich keinen Ersatz hatte, sodass ich eine ganze Zeit lang auf nur fünf Saiten spielte.
An der Hollyfield Road School wurde ich auch sehr viel imagebewusster, weil ich dort ein paar echte Schwergewichte traf, die sehr ausgeprägte Vorstellungen von Kunst und Mode hatten. In Ripley hatte es im Alter von zwölf mit Jeans angefangen, unbedingt schwarz und mit einer dreifachen grünen Naht, ziemlich Avantgarde damals. Als Nächstes kam die italienische Mode, Anzüge mit sehr kurz geschnittenen Jacken und unten eng geschnittenen Hosen, dazu spitze Schuhe. Wie die meisten anderen Familien in Ripley bestellten wir unsere Kleidung aus Versandhauskatalogen, und Rose änderte meine Sachen, wenn nötig, um. Nach der Hälfte meiner Zeit auf der Hollyfield kam dann mit der Gitarre der Beatnik-Look: hautenge Jeans von Moffats, schwarzer Pullover mit rundem Halsausschnitt, ein Parka von Millets, komplett mit »Ban the bomb«-Stickern und Mokassins aus einem Bastelset.
Eines Tages kniete ich vor dem Spiegel und vollführte Pantomimen zu einer Gene-Vincent-Platte, als
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