Mein Leben
einer meiner Freunde am offenen Fenster vorbeikam. Er blieb stehen und sah mich an, und ich werde nie vergessen, wie peinlich mir dieser Blick war, denn bei all meiner Begeisterung für die Musik wurde ich natürlich auch von dem Gedanken angetrieben, einer von denen zu werden, die ich im Fernsehen gesehen hatte, kein englischer Popstar wie Cliff Richard, sondern ein amerikanischer wie Buddy Holly, Jerry Lee Lewis, Little Richard oder Gene Vincent. Und in diesem Moment wusste ich, dass ich einen Ruf hörte, dem ich folgen musste, auch wenn er mich aus Ripley wegführen würde.
Obwohl ich die Gitarre nach wie vor nicht richtig beherrschte, wollte ich so aussehen, als wüsste ich, was ich tat, und versuchte ein Image zu kultivieren, das meinem Bild eines Folksängers entsprach. Ich besorgte mir einen Kugelschreiber und malte LORD ERIC in riesigen Lettern auf den Korpus meiner Gitarre, weil ich dachte, dass Folksänger so etwas machten. Dann band ich eine Kordel als Gurt an meine Gitarre und malte mir aus, wie ich, begleitet von einer Freundin in entsprechender Beatnik-Kluft, in einem Café Folkmusik spielte. Die Freundin stellte sich in Person eines sehr hübschen Mädchens namens Diane Coleman, das ebenfalls auf die Hollyfield Road School ging, tatsächlich ein. Sie wohnte in Kingston, und wir hatten eine kurze und intensive Affäre, bis Sex zum Thema wurde und ich panisch das Weite suchte. Bis dahin hatten wir uns gut verstanden und im Wohnzimmer ihrer Mutter stundenlang Platten gehört. Meine anfängliche Karriere als Folksänger war ähnlich kurzlebig. Wir gingen ungefähr dreimal zusammen in ein Café, mitsamt meiner LORD ERIC-Gitarre, was uns beiden peinlich wurde, mir, weil ich mich vor lauter Schüchternheit nicht zu spielen traute, und ihr, weil sie es mit ansehen musste. Aber als ich gerade dachte, ich wäre in eine Sackgasse geraten, fand ich eine andere Gitarre.
Es war an einem Flohmarktstand in Kingston, auf dem ich eines Samstags diese äußerst seltsam aussehende Gitarre entdeckte. Es war eine akustische Gitarre, jedoch mit einem sehr schlanken Korpus, beinahe wie eine mittelalterliche englische Laute, auf deren Rücken das Bild einer nackten Frau klebte. Ich ahnte intuitiv, dass es eine gute Gitarre war. Ich nahm sie in die Hand, spielte jedoch nicht darauf, weil ich nicht wollte, dass mich irgendjemand hörte. Aber sie fühlte sich perfekt an, die Gitarre meiner Träume. Ich kaufte sie gleich an Ort und Stelle für zwei Pfund und zehn Schilling. Keine Ahnung, woher das Geld kam, wahrscheinlich von Rose geschnorrt oder aus ihrer Handtasche »geborgt«. Ich kann mich nicht genau erinnern, was für finanzielle Abmachungen ich mit meiner Familie hatte. Ich glaube, ich bekam jede Woche ein ganz ordentliches Taschengeld, aber zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich es auch bestimmt nicht für unter meiner Würde gehalten hätte, meine Ausgaben auf jede mögliche Art auszugleichen.
Mittlerweile hatte ich die Clawhammer-Zupftechnik einigermaßen drauf und probierte auf der neuen Gitarre ein paar Folksongs, die ich gelernt hatte. Verglichen mit der Hoyer spielte sie sich viel leichter. Der Korpus war klein und schmal, der Hals flach mit einem ungewöhnlich breiten Griffbrett wie bei einer klassischen Gitarre, sodass sie sich viel bequemer spielen ließ. Außerdem lagen die Saiten bis zum Steg flach über dem Griffbrett, was den Hals zart und zerbrechlich, auf den höheren Bünden jedoch auch leichter bespielbar machte. Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine George Washburn, ein uraltes amerikanisches Instrument von großem Wert, aus einer Fabrik in Chicago, die bereits seit 1864 Gitarren herstellte. Auf die Rückseite des Rosenholzkorpus hatte jemand dieses Pin-up-Bild geklebt und das Ganze mit Lack überzogen. Es war schwer, es abzulösen, ohne das Holz zu beschädigen, und ich war echt sauer, dass jemand dieses schöne Instrument so verunstaltet hatte. Aber nun hatte ich endlich eine richtige Gitarre, wie gemacht für Folk. Vielleicht könnte ich jetzt der Folksänger werden, der ich meiner Ansicht nach sein sollte.
Als ich mit sechzehn meinen Abschluss mit dem Hauptfach Kunst machte und für ein Probejahr auf die Kingston School of Art kam, war ich bereits ein ziemlich versierter Gitarrist und lernte ständig dazu. Ich ging regelmäßig in ein Café namens L’Auberge in Richmond. Es lag direkt an der Brücke auf einem Hügel, und auf der anderen Seite des Flusses in Twickenham gab es
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