Mein Leben
David Harlech. Sie war kaum sechzehn Jahre alt und von betörender Schönheit, mit dichten braunen Locken, riesigen Augen, einem rätselhaften Lächeln und einem herrlich ansteckenden Lachen. Ich fand sie erstaunlich und war sehr angetan von ihr, aber der Gedanke, dass aus uns etwas werden könnte, wäre mir nie gekommen. Der Altersunterschied schien gewaltig, und sie wirkte sehr zerbrechlich und nicht ganz von dieser Welt. Zu meiner Überraschung lud sie mich ein, sie auf eine Party in London zu begleiten. Ich kam mit, und sie ignorierte mich den ganzen Abend vollkommen, obwohl ich bis auf Monster und Ian Dallas keine Menschenseele dort kannte.
Aber ich fand sie absolut unwiderstehlich, wenngleich wir meines Erachtens nicht einmal ansatzweise zueinanderpassten. Mit ihrer melancholischen Art und ihren arabischen Kleidern kam sie mir vor wie eine Märchenprinzessin; diese Fantasie wurde noch von Ian Dallas befördert, als er mir die Geschichte von Leila und Madschnun erzählte. In dieser persischen Liebesgeschichte verliebt sich ein junger Mann namens Madschnun leidenschaftlich in die wunderschöne Leila, doch sein Vater verbietet die Hochzeit, und er wird wahnsinnig vor Verlangen. Ian betonte immer wieder, dass Alice die perfekte Leila wäre, und auch wenn er fand, dass Steve ihr Madschnun sein sollte, hatte ich andere Vorstellungen. Ich habe keine Ahnung, was sie in mir sah, vielleicht bestand mein Reiz darin, innerhalb ihrer Clique ein Außenseiter zu sein, für den sie sich aus reinem Trotz entschied. Jedenfalls zog sie nach ein paar Tagen linkischen Werbens bei mir ein, und der Irrsinn nahm seinen Lauf.
Es war von Anfang an eine steife, unbehagliche Situation. Ich war nicht in Alice verliebt, denn mein Herz und ein guter Teil von allem anderen waren bei Pattie. Außerdem bereitete mir der Altersunterschied schweres Kopfzerbrechen, vor allem nachdem sie mir erzählt hatte, dass sie noch Jungfrau sei. Tatsächlich spielte Sex in unserem Leben eine untergeordnete Rolle. Wir waren mehr wie Bruder und Schwester, obwohl ich hoffte, dass sich daraus irgendwann eine normale Beziehung entwickeln würde. Ihr Vater war ein begeisterter Jazzfan, von dem sie die Liebe zur Musik geerbt hatte, also hörten wir haufenweise Platten und rauchten jede Menge Dope.
Noch etwas ist mir erst sehr viel später klar geworden. Als kleiner Junge von sieben oder acht Jahren spielte ich mit meinem Freund Guy immer ein Spiel, bei dem wir uns alberne Namen ausdachten, über die wir uns vor Lachen ausschütten konnten. Und der albernste Name, auf den wir kamen, war Ormsby-Gore. Als es zwischen Alice und mir ernsthaft zu kriseln begann, befiel mich die schreckliche Angst, dass eine Beziehung zu einem Mädchen aus der Oberschicht, wie sie es war, eine Reaktion auf die Zurückweisung sein könnte, die ich als Kind durch meine Mutter erfahren hatte. Vielleicht wollte ich Frauen erniedrigen und dachte unbewusst: »Das ist eine Ormsby-Gore, und ich werde ihr wehtun.«
In den ersten Wochen nach Alices Einzug kam Steve öfter nach Hurtwood, und wir spielten stundenlang zusammen. Ich hatte den großen Raum im Erdgeschoss zu einem kombinierten Wohn- und Musikzimmer umgestaltet, mit einem Tisch, Stühlen und einer Couch sowie Schlagzeug, Keyboards und Gitarrenverstärkern. Überall standen Tonbandgeräte und Mikrofone herum, Kabel waren durch den Flur verlegt. Es war eigentlich ein kleines Heimstudio, in dem wir jammten, aufnahmen und das musikalische Terrain sondierten. Anfangs arbeiteten wir mit einer kleinen Drum-Machine, bis Steve schließlich erklärte, er wollte, dass Ginger bei uns mitmachte. Ich zögerte nach wie vor, meine Cream-Erfahrungen mit Ginger zu wiederholen, aber wenn Steve glücklich mit ihm war, sollte ich zumindest einen Versuch wagen. Und als Bassisten gewannen wir Rick Grech von der Band Family, den ich aus dem Speakeasy kannte.
Die ersten Proben der neuen Band fanden alle in Hurtwood statt. Wir fingen gegen Mittag an und jammten bis spätabends. Wir hatten viel Spaß, doch die Sache geriet ein bisschen außer Kontrolle, weil wir musikalisch viel herumexperimentierten, ohne je auf den Punkt zu kommen. Aber sobald wir ins Studio gingen, nahm unser Material Gestalt an. Ich hatte bereits »Presence of the Lord« geschrieben und schlug außerdem eine Coverversion des Buddy-Holly-Songs »Well ... Allright« vor. Steve steuerte ebenfalls ein paar Songs wie »Sea of Joy« und »Can’t Find My Way Home« bei, aber im Grunde waren wir
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