Mein Leben
erwarten hatte.
Die meisten Bewohner von Ripley, wie Guy Pullen, mein ältester und bester Freund, waren stolz auf das, was ich erreicht hatte. Das bedeutete aber nicht, dass sie nun mir zuliebe ihren Alkoholkonsum gemäßigt hätten. Und daher musste ich ein paar ziemlich harte Entscheidungen treffen. Bestimmte Leute, Dinge und Orte waren riskant für mich, und so ging ich sorgfältig eine lange Liste alter Bekanntschaften und Treffpunkte durch und versuchte einzuschätzen, welche davon meiner Nüchternheit gefährlich werden konnten und welche nicht. Aber mein Urteil taugte nichts, denn mein Wertesystem war völlig auf den Kopf gestellt. Was vorher auf der Liste meiner Prioritäten im Leben auf Nummer eins, zwei und drei gestanden hatte – Trubel, Gefahr und Risiko –, war jetzt komplett davon gestrichen.
Eine Zeit lang versuchte ich nur mit Leuten zu verkehren, die gut für mich waren, was mir aber schwerfiel. Ich war gereizt und schlecht gelaunt und wusste nicht, was ich mit all der Zeit anfangen sollte, die ich sonst mit Trinken verbracht hatte. Ich ging zu den Meetings der AA, nicht selten fünf- oder sechsmal die Woche, dachte dort aber immer nur: »Ich bin nicht wie diese Leute. Ich gehöre hier nicht hin.« Ich brauchte jemanden, der sich für mich als Person interessierte, aber jetzt war ich bloß noch Eric der Alkoholiker, und ich war mir nicht allzu sicher, dass ich selbst das schon vollständig akzeptiert hatte.
Zum Schwierigsten, dem ich mich nach meiner Rückkehr zu stellen hatte, gehörte der Versuch, meine Beziehung zu Pattie wieder aufzunehmen. Ich kam von der Behandlung zurück, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie wir wieder vertraut miteinander werden könnten. Darüber hatten wir während der Behandlung nie gesprochen, und heute bedaure ich das. Nicht dass ich glaube, es hätte für uns einen Unterschied gemacht (aber das muss offenbleiben), sondern weil es ein sehr wichtiges Thema ist und in solchen Programmen einen Platz verdient hätte.
Jedenfalls waren wir beide ziemlich ratlos. Es war so lange her, dass ich irgendetwas ohne Alkohol getan hatte, dass ich schlicht nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Es zerriss uns beiden das Herz. Pattie hatte sich darauf gefreut, einen trockenen Jungen in Empfang zu nehmen, und da war ich nun, verstört und durcheinander wie ein Vietnamveteran. Wenn ich mit ihr ins Bett ging, rollte ich mich in Fötushaltung neben ihr zusammen. Ich schämte mich und wollte nicht darüber reden, denn was mich anging, gründete sich unsere Beziehung im Wesentlichen auf Sex, und ich hatte angenommen, damit wäre alles gleich wieder beim Alten, sobald ich nach Hause kam.
In dieser Phase fing ich an, Pattie ständig Vorwürfe zu machen. »War ich denn nicht ihr zuliebe nüchtern geworden? Wo blieb ihre Dankbarkeit?« So ging es mir durch den Kopf. Sie war ihrerseits natürlich in der Lage, Wein und Koks maßvoll zu sich zu nehmen, und wollte unser altes Leben bis zu einem gewissen Grad weiterführen. Und wer konnte ihr daraus einen Vorwurf machen? Ich hingegen musste abstinent bleiben, und die ewige Nüchternheit begann mich schwer zu belasten. Der Alkohol fehlte mir, und ich war neidisch darauf, dass sie das Zeug trinken konnte, ohne es zu übertreiben. Ich hatte die Wahrheit über mich immer noch nicht richtig akzeptiert.
Die Risse in unserer Beziehung hatten zur Folge, dass ich mich in mich selbst zurückzog. Ich verbrachte viel Zeit mit Angeln. Viele Jahre lang war ich als Angler eher ein Anfänger geblieben und hatte aus den Gewässern in der Gegend von Ripley hauptsächlich Barsche, Karpfen und Hechte geholt, aber Gary Brooker hatte mir neuerdings beigebracht, mit Fliegen zu angeln. Hechtangeln ist im Vergleich zu Forellenangeln eine ziemlich schwerfällige Angelegenheit. Man muss eine Menge Zeug mit sich herumschleppen, ganze Körbe voll, Rutenständer und so weiter, man muss grüne Thermoanzüge tragen, und wenn man dann so weit ist und alles aufgebaut hat, hat man nicht mehr sehr viel zu tun, man sitzt nur da und wartet. Gary mit seiner Angelrute und der kleinen Tasche mit ein paar Fliegen drin hatte mich immer amüsiert. Mit diesen wenigen Sachen konnte er unbeschwert durch die Gegend ziehen. Eines Tages gab er mir auf seinem Rasen Unterricht darin, wie man eine Fliege auswirft, und als es mir zum ersten Mal gelang, die Leine gut drei Meter weit auszuwerfen, begann ich darin eine Kunst zu sehen, die ich eines Tages vielleicht auch beherrschen
Weitere Kostenlose Bücher