Mein Leben als Androidin
in dem sich die Aktenspulen bis zur Decke stapelten und die wenigen, ramponierten Möbelstücke zu überwuchern drohten – ihr Reich. »Wirkliche Veränderungen kann man nur durch Arbeit im Herzen des Systems bewirken; wir können uns nicht alle in unsere isolierten Utopias flüchten. Aber laß dich davon nicht abhalten. Bitte! Ich muß arbeiten. Geh, beeil dich, oder du wirst deinen Flug verpassen.«
An der Tür blieb ich stehen. »Ich werde dir nie genug danken können.«
»Bon Format.« Ich konnte nicht erkennen, ob sie es ernst meinte oder nicht. Sie saß bereits wieder hinter ihrem Tisch und hatte den Gedankenprozessor aufgesetzt.
Ich jettete mit ihrem Assistenten zum Terminal, und wir bestiegen eine Fähre zum Raumhafen. Dort reichte er mir im Wartesaal das Ticket sowie eine Spule mit dem Titel Willkommen in Horizont – das obligatorische Abschiedsgeschenk für jeden Neubürger – und verabschiedete sich mit den besten Wünschen für einen möglichst ereignislosen Flug. Die Sicherheitsbeamten machten keine Schwierigkeiten, wie Dahlia es versprochen hatte, obwohl sich bei den Posten vor den Monitoren an der Eingangsschleuse ein paar Augenbrauen hoben; mehrere Agenten der AÜ beobachteten meine Abreise mit grimmigen Mienen und vor der Brust verschränkten Armen. Fast glaubte ich, ihre Zähne knirschen zu hören. Obwohl Qualität und Machart meines Aufzugs sich nicht mit der Kleidung der übrigen Passagiere messen konnten – Damen und Gebieter von Reichtum und Ansehen –, machten die P9-Stewardessen keineswegs Anstalten, mich zurückzuweisen, sondern geleiteten mich mit all der Zuvorkommenheit zu meinem Platz, auf die ein Passagier der Concordia Anspruch hatte.
»Phantastisch, nicht wahr?« bemerkte ein Mittvierziger neben mir, als wir uns vom Raumhafen abkoppelten und den Hyperantrieb zündeten – der Mond, der Augenblicke zuvor unser Fenster ausgefüllt hatte, schrumpfte binnen Sekunden auf Stecknadelkopfgröße zusammen und verschwand schließlich ganz. Ich pflichtete ihm bei, während ich meinen Gurt löste und widerwillig zugab, daß dies mein erster Hyperflug war, denn alles an ihm signalisierte Bereitschaft zu einem Flirt, und nichts hätte mir unwillkommener sein können. Ganz abgesehen davon, daß die Aussicht, eine glaubhafte Lebensgeschichte erfinden zu müssen, um den Konversationsdrang dieses Möchtegernverehrers zu befriedigen, mir als äußerst ermüdende Übung erschien, besonders, da ich es kaum abwarten konnte, mir die Horizontspule zu Gemüte zu führen. Als er sich angelegentlich (oh, so angelegentlich) erkundigte, ob ich auch nach Frontera wollte, überkam mich etwas – ich weiß nicht, was –, und statt ihn anzulügen, sagte ich ihm platt ins Gesicht: »Wenn du's unbedingt wissen willst, ich bin ein entlaufener P9 auf dem Weg nach Horizont.«
Er kicherte und antwortete, dann sei er Alexander Seti. Man konnte deutlich sehen, daß er sich ungemein geistreich fand, deshalb setzte ich mein finsterstes Gesicht auf und raunzte: »Das ist kein Witz, Arschgesicht.« Zusätzlich drohte ich, ihm Arme und Beine zu verknoten, wenn er noch einmal den Mund aufmachte. Ob mein Galan die Drohung ernst nahm oder nicht, jedenfalls verschwand er, um die Schwingbadewanne in der Entspannungskabine des Raumers auszuprobieren, und kam nicht wieder. Welch ein Gefühl der Befreiung! Seit ich denken konnte, hatte ich verschweigen müssen, wer und was ich war. Sie können sich nicht vorstellen, wie satt man es haben kann, sich ständig zu verleugnen, außer, Sie sind auch ein Flüchtling. Hätte ich früher geahnt, welch ausgezeichnete Verbündete die Wahrheit sein kann, hätte ich öfter Gebrauch davon gemacht. Es war herrlich. Ich klappte die Armlehne hoch, die wir uns geteilt hatten, und streckte mich auf den Sitzen aus. Dann stülpte ich mir das geschenkte Holoskop über die Augen, schob die Horizontspule ein und lehnte mich genußvoll zurück.
Die Aufzeichnung begann mit einem kurzen Vorspann, aus dem zu erfahren war, daß es sich bei der Kolonie – wenn die Bevölkerung auch zum überwiegenden Teil aus Hochaquariern bestand – um eine strikt multinationale Niederlassung handelte und sie deshalb der Siedlungspolitik der TWAC entsprach. Um es genauer zu definieren, Hochaquarianismus war keine offizielle Religion, vielmehr der antiautoritäre, auf Konsens orientierte, kooperative Versuch einer Toleranzgesellschaft.
Nach diesen erklärenden Vorbemerkungen folgte eine visuell beeindruckende Präambel,
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