Mein Leben als Androidin
exkommunizierte Nonne zu verschonen. Und es ist ein Fehler, Blaines Politik zu humanisieren. Du mußt sie untergraben!«
Doch Andro hatte Angst, seiner Privilegien verlustig zu gehen; Angst, nach Horizont zu flüchten; Angst, sein Zimmer zu verlieren und jetzt auch Molly II; Angst vor allem, die Stimme seines Gewissens eingeschlossen. Um Zeit zu gewinnen, fütterte er es mit kleinen Zugeständnissen und hielt es sich vom Hals, Woche um Woche, Monat um Monat, ein unablässiger Kriegszustand zwischen Furcht und Selbstgerechtigkeit. Der Streß war enorm. Ich wünschte mir, diese psychologisch grotesken Episoden aus meinem Gedächtnis streichen zu können, wie die First Lady mühelos jede Erinnerung an Molly II aus ihrem Programm tilgte. Am Ende jeder nächtlichen Sitzung mit Andro verstaute sie Molly II in einem Sekundärspeicher, um sie erst wieder hervorzuholen, wenn Andro sie das nächstemal in sein Zimmer führte – oder zu einem anderen Ort, den er für sicher hielt. (Um das First Lady-Programm zu aktivieren, brauchte Andro sie nur mit Angelika oder Lady Fracass anzusprechen, und automatisch trat die gewünschte Persönlichkeit an die Stelle von Molly II.) So wie die First Lady ihr Zweigprogramm, hätte ich nur zu gerne die erniedrigenden Szenen in Blaines Suite vergessen. Doch leider, die zwei perversen Affären – die eine im oberen Stockwerk, die andere eine Treppe tiefer; die eine sadistisch, die andere unsäglich verlogen – hielten mich unerbittlich fest und zerdrückten mein letztes Restchen Seelenfrieden jeden Tag ein bißchen mehr, bis ich glaubte – nein, wußte! –, daß der psychische Druck mich zum Wahnsinn treiben würde, wenn ich mich nicht unverzüglich gegen jede äußere Wahrnehmung abschottete oder auf ein anderes Mittel verfiel, um mich vor der unerträglichen Wirklichkeit zu schützen. Ich bemühte mich, Augen und Ohren zu verschließen, aber es nützte nichts; das Leben sickerte durch die kleinsten Ritzen und machte meine Bemühungen zunichte. Endlich fand ich die Lösung. Ich führte es nicht absichtlich herbei, doch eines Tages entstand ohne meine wissentliche Mithilfe eine neue Persönlichkeit, die ich der Verständlichkeit halber in dieser Geschichte Molly III nennen will, obwohl ich damals glaubte, sie sei ich selbst, und nie wurde eine gelassenere und gefestigtere junge Frau geschaffen! Dieses Geschöpf verabscheute sowohl Molly I (die echte Molly oder zumindest jene, die diese Memoiren verfaßt) wie auch Molly II (Andros verfälschte Version), weil beide Persönlichkeiten in Opposition zu der offiziell anerkannten Persönlichkeit der First Lady standen (Blaines Molly). Diese neue Schöpfung, mit der ich mich rückhaltlos identifizierte, machte sich die Ansichten der First Lady zu eigen, weil sie den Weg des geringsten Widerstands darstellten. Im selben Moment, als diese außergewöhnliche Fusion stattfand, lösten sich alle Konflikte, Widersprüche und Verwirrungen in Wohlgefallen auf, mitsamt dem Wissen um die anderen Persönlichkeiten, eingeschlossen das Original – Molly I. Plötzlich gab es nichts mehr zu fürchten und nichts mehr zu zweifeln; tatsächlich hatte ich gelernt, schmerzlos zu resignieren und mein Programm zu lieben. Nicht länger wehrte ich mich gegen den IZ und versuchte, das Programm zu beeinflussen oder außer Kraft zu setzen – das war mir ohnehin nie gelungen. Statt dessen schöpfte ich Trost aus der festen Überzeugung der First Lady, daß mit der Welt alles in bester Ordnung war, vorausgesetzt, man stimmte mit der humanistischen Sicht der Dinge überein. Nicht länger stöhnte ich innerlich über ihre erstaunlich einfältigen Ansichten, ich teilte sie! Nicht länger nahm ich Notiz von den kleinen Leuten oder dem Pöbel, noch scherte ich mich einen Deut um das Elend der Unterdrückten, ob Androiden, Menschen oder Semis; ich quälte mich auch nicht länger mit extravaganten Überlegungen, wie man die Dinge anders handhaben könnte – effizienter, gerechter und klüger –, und ich tolerierte keine Andersdenkenden; das waren allesamt aquarische Agitatoren. Nein. Nichts davon war wichtig. Es kam einzig darauf an, daß der Planet als Auster der Menschheit erhalten blieb, deren Privilegien vor allen Bedrohungen von drinnen und draußen geschützt zu werden hatten. Nach Abschluß der eben beschriebenen Verwandlung war das unechte, irregeleitete Geschöpf, das während der Flitterwochen die ›Ich bin ein Humanist‹-Briefspule an Anna abgefaßt hatte, nach
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