Mein Leben als Androidin
unsere Interessengemeinschaft Industrie/Mafia der ermüdenden Aufgabe, öffentliche Unruhen zu inszenieren; nach dem Attentat brachen in ganz Frontera echte Antidroiden- und Anti-Smedly-Revolten aus und rechtfertigten General Harpis Eingreifen. Im Zuge der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung hielt der General es für opportun, die Reihen seiner Rivalen, der Palastwache, ein wenig zu lichten; Tausende von unbeteiligten Zivilisten und unschuldigen Einheiten, die in das Kreuzfeuer gerieten, fanden den Tod, wurden verletzt oder verstümmelt. Da wir von Unschuldigen sprechen, was wurde aus Milton Smedly? In weniger als fünfzehn Minuten wurde ihm von einem Militärtribunal der Prozeß gemacht, aber man ließ Gnade walten und verurteilte ihn zu lebenslänglich Ganymed.
In den folgenden Monaten, solange der Belagerungszustand dauerte, wurden die ›neuen Verhältnisse konsolidiert‹. Der General Harpi entfernte die auf Fracass programmierten P9 aus der Verwaltung und ersetzte sie durch Cyberenes, nach Kommerz verschifft von Sensei Inc., der Eigentümerin der Herstellerfirma. (Der wichtigsten Industriebetriebe versicherte er sich auf dieselbe Art.) Es kam auch zu generalstabsmäßig durchgeführten Hausdurchsuchungen, um die im Heer der Domestiken vermuteten RAG-Terroristen und Sympathisanten aufzuspüren. Das Resultat waren mehr als tausend Terminationen verdächtiger Einheiten und beinahe einhundert versehentliche Hinrichtungen von Gebietern. Doch all das ist Ihnen bekannt. Hoffe ich! Meiner persönlichen Meinung nach war die Säuberungsaktion ein Vorwand, weil das Militär durch Einschüchterung der Gebieterklasse seine Machtposition festigen wollte und sich auf lange Sicht das harte Durchgreifen so bequem dadurch rechtfertigen ließ, daß man die Furcht der Bevölkerung vor der RAG schürte, einer Organisation, die in Wahrheit zusammen mit der Concordia aufgehört hatte zu existieren. Dank Harpi wurde sie als der neue Buhmann der interplanetaren Terroristenszene wiederbelebt und hält sich leider bis zum heutigen Tag hartnäckig in der Phantasie der Öffentlichkeit, um bei jeder angeblichen Bedrohung des geheiligten Humanismus auf dem Mars oder anderswo den Verteidigern der humanistischen Ideale frischen Schwung zu verleihen und neue Rekruten zuzutreiben. Oh – es gab eine Änderung in Senseis Konzept, die nicht unerwähnt bleiben soll: ein kurzer Ausflug ins Reha-Zentrum, kurz nach meiner Einlieferung in die Gefängniscontainer der AÜ. Sehen Sie, die offizielle Version der Smedly-Verschwörung basierte auf meiner freiwilligen Mitarbeit; deshalb, in konsequenter Anlehnung an die ›Fakten‹, war es unabdingbar, daß mein IZ entfernt wurde.
Unnötig zu sagen war das der eine Punkt in ihren Machenschaften, der mir keinerlei Widerwillen einflößte, auch wenn später das Fehlen eines Zensors dazu dienen sollte, mich als kaltblütige Verbrecherin hinzustellen, denn von dieser Zwangsjacke befreit zu werden war eine solche Wohltat, daß nichts mein Glück zu trüben vermochte, weder die Tatsache, daß ich mich in den Klauen der AÜ befand, noch die Aussicht auf eine bestenfalls ungewisse Zukunft. Das Entzücken über die Befreiung meiner Seele nach so langer Gefangenschaft ließ alle anderen Sorgen als vergleichsweise unbedeutend erscheinen. Ich kann mich entsinnen, daß ich lächelte, lachte und hüpfte, während ich zu meiner Zelle zurückgeführt wurde, und ich wäre sogar den AÜ-Wächtern um den Hals gefallen, wenn sie mich gelassen hätten. O ja, eine Zeitlang regten sich noch die Schatten der First Lady und von Molly II im Hintergrund meines Bewußtseins, aber keine der beiden Damen hatte noch die Macht, mich zu stören, weder einzeln noch gemeinsam; ihre Gegenwart mahnte nur an eine vergangene Zeit der Unbill, und nach wenigen Stunden waren sie endgültig verschwunden. Ich war frei. Wirklich und wahrhaftig frei. Tag um Tag genoß ich in meiner Einzelzelle den Luxus, mich ganz nach eigenem Belieben zu setzen, umherzugehen und mich nach Herzenslust zu recken, vergnügt wie eine irdische Lerche. Ich war froh, sagen, tun und denken zu können, was immer ich wollte; schlicht und einfach froh, ich selbst sein zu dürfen. Nach vier Jahren Unterdrückung durch den IZ erlebte ich in dieser 2 mal 3 Meter großen Zelle einen wundervollen und wohlverdienten Urlaub – Urlaub in einem Schuhkarton. Kann ich nur empfehlen!
Doch alles Schöne geht einmal zu Ende, und so kam der Tag, an dem man mich aus meiner
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