Mein Leben als Androidin
schweigen (oder mich sogar in die Gruft zurückbringen lassen), wie sich das unter solchen Umständen gehörte, oder sollten sie mit mir reden wie mit einer Ebenbürtigen, was man als Beleidigung ihres Berufsstands auslegen konnte? Und das waren LRA-Anwälte, um des Chefs willen!
Schließlich unterbrach Dahlia das peinliche Schweigen und sprach für alle, wenn sie sagte, daß mein originaler Erinnerungsspeicher und alle davon angefertigten Kopien ebenso als Beweismaterial galten wie ich selbst und deshalb vor Prozeßende nicht freigegeben werden konnten, dann würde der Richter im Rahmen der Urteilsverkündung über ihre weitere Verwendung entscheiden. Levin fügte hinzu, daß dieselben Maßstäbe selbstverständlich auch für die klagende Partei galten, ich sollte es mir also zweimal überlegen, falls ich in Erwägung gezogen hatte, mich wegen der Datei dorthin zu wenden. Dahlia forderte mich streng dazu auf, an meinen Platz zurückzukehren, bevor der Richter merkte, daß ich im Saal umherstreunte. Ich gehorchte, aber ungern und nicht ohne kundzutun, daß sie sich meiner Meinung nach reichlich dicke tat für eine Apple, eine Bemerkung, die man zu überhören beschloß.
Als das Gericht zusammentrat, um die Sitzung wieder aufzunehmen, gab der Richter bekannt, daß die Entnahme, Bearbeitung und Analyse der Phytochumorprobe von Beweisstück Zwölf (Andro) insgesamt drei Tage dauern würde. In der Zwischenzeit sollten weitere Zeugen gehört werden. Bei der nächsten Sitzung, zwei Tage später, rief Dahlia Jubilee in den Zeugenstand.
Kapitel fünf
Ein wunderschöner weiblicher Semi wurde von zwei Gerichtsdienern in den Zeugenstand geführt. Sie sah aus wie fünfundzwanzig * , mochte aber auch jünger sein, denn ihr liebliches Gesicht war von Leid verhärtet und ihr Körper abgehärmt. Bei einer Menschenfrau hätte man dieses letzte Merkmal nicht als Nachteil empfunden, denn der ätherische Look war gerade in Mode gekommen. In gewisser Weise wurde dadurch die Aura zerbrechlicher Schönheit verstärkt, die sie umgab. Doch sie wirkte auch eigensinnig, unkooperativ und feindselig, und der Grund dafür stellte sich schon bei Dahlias ersten Fragen heraus, denn sie war nicht freiwillig gekommen, um auszusagen, sondern man hatte sie mit Gewalt aus den Baracken von Semiville herausgeholt, wo sie mit den anderen Überlebenden Horizonts wohnte.
»Ja!« bestätigte sie haßerfüllt, als man mich ihr zur Identifikation vorführte. »Das ist die verräterische Hündin, von der man mir gesagt hat, sie sei meine Mutter. Das ist die humanistische Hexe Angelika Fracass. Ich weigere mich, sie Molly zu nennen.«
Das liebenswerte Kind berichtete weiter, sie habe mein Gesicht oft in den interplanetaren Nachrichten gesehen, und ihr Stief-Großvater, Thaddäus Locke, der sich in Horizont zusammen mit Anna um sie kümmerte, war derjenige gewesen, der ihr erzählte, ich sei ihre Mutter. Wie sehr sie mich deswegen haßte und sich selbst für diesen Haß verachtete! Die Tränen flossen. Ja, eine gute Hochaquarierin wie sie hatte gelernt zu hassen. Was sonst konnte man für eine Mutter empfinden, die zur Verräterin geworden war; eine Mutter, die während der ganzen Zeit auf dem Mars nicht einmal versucht hatte, ihr Kind zu sehen; eine Mutter, die die Zerstörung ihrer Heimat verursachte. Nein, sie hatte den Erklärungen ihres Stief-Großvaters nie recht Glauben schenken mögen: nach ihrer felsenfesten Überzeugung war ich ein kaltes und gefühlloses Gewächs, das den einfachen und heimeligen Freuden der Mutterschaft und des gemeinsamen Frohmatierens in Horizont ein Leben des Egoismus und der Intrigen in Frontera vorzog.
»Das ist nicht wahr!« wollte ich protestieren. Doch hatte sie wirklich unrecht? Und stimmte meine Ahnung, daß ich sie geliebt hatte? Ich war mir nicht sicher. Es gab keine Erinnerungen, auf die ich mich stützen konnte. Ich suchte flehend ihren Blick, erschüttert von einem inneren Schmerz, den ich nicht zu benennen wußte, und entdeckte ein zutiefst verletztes kleines Mädchen unter der Oberfläche. Sie wandte abrupt den Kopf zur Seite.
»Ich sagte Taddy – so habe ich Tad immer genannt –, daß ich sie nicht sehen wollte und daß es dumm wäre, nach Frontera zu gehen. Doch er wollte nicht auf mich hören, das hat er nie getan. Er sagte immer, eines Tages würde ich verstehen. Nun gut, ich verstehe jetzt. Sie war eine Kollaborateurin. Meine eigene Mutter! Und sie war es auch, die Taddy zu dieser dummen
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