Mein Leben als Androidin
»Manchmal rastet sie ein wenig aus.« Augenscheinlich hatte er seinen eigenen cholerischen Anfall bereits vergessen.
Was immer es war, das Matilda zu ihnen sagte, es erwies sich als dermaßen explosiv, daß sie einen Faustkampf provozierte, in den Null Komma nichts die Hälfte der Insassen verwickelt war. Matilda hatte recht gehabt, diese Zwischenfälle als jämmerlich zu bezeichnen. Ich konnte sie in der Mitte des Getümmels umherwanken sehen, wie sie mit ihren zahnlosen Kiefern den Arm eines der anderen Insassen bearbeitete. Beruhigungsmittel aus der Berieselungsanlage erstickten den Tumult so schnell, wie er entstanden war, doch leider machte das Mittel keinen Unterschied zwischen Beteiligten und Zuschauern, deshalb wanderte ich während der nächsten paar Stunden halb betäubt durch den Pferch und murmelte wieder und immer wieder vor mich hin: »Nein, nein, nein. Ich darf nicht werden wie sie. Ich darf nicht! Ich darf nicht!«
Kapitel zwei
Der Greifer packte mich, während ich schlafend auf meiner schäbigen Matratze lag, und hob mich – schlagartig hellwach und zappelnd – zu der Beobachtungskabine unter der Decke empor. Von dort verfrachtete man mich in einen makellos antiseptischen Untersuchungsraum. Man schnallte mich auf einen Tisch, und einer der weißgekleideten Techniker – ein Sears, glaube ich – injizierte mir durch seine Fingerspitzenkanüle das Gegenmittel. Trotz meiner Benommenheit war ich nicht überrascht; eigentlich hatte ich schon früher damit gerechnet, denn nach meiner groben Schätzung befand ich mich seit etwa einem Monat in der Benway-Klinik. Dr. Benway beehrte mich mit seiner Aufmerksamkeit. Er teilte mir mit, daß ich die Ehre hatte, als erste Einheit in meiner Kolonie mit einem neuen und verbesserten Derivat geimpft zu werden. Da ich mittlerweile ein ziemlich aufbrausendes Temperament entwickelt hatte, kein Wunder bei dem ewigen Gezänk unten im Pferch, schleuderte ich ihm jedes Schimpfwort und jeden Fluch entgegen, die ich in einem Atemzug herausbringen konnte. Als Antwort hob er mir mit einem Zeigestock aus Edelstahl das Kinn in die Höhe und bemerkte sachlich, in gewisser Weise wäre es schade, wenn das neue Mittel wirken sollte, er hätte zu gerne erlebt, wie ich als Sechzigjährige aussah. »Vorläufig, meine scharfzüngige kleine Einheit, stehen dir die Fünfunddreißig ganz ausgezeichnet.« Er schnippte mit den Fingern, und ein Sears reichte ihm einen kleinen Spiegel, den er mir vors Gesicht hielt.
Die Spuren des Alters waren deutlich zu erkennen: Krähenfüße, Lachfältchen und … waren das graue Haare? Wahrhaftig. Nur ein paar, aber deshalb um so auffälliger. Ich muß einen Schock erlitten haben, denn ich kann mich nicht daran erinnern, in den Pferch zurückgebracht worden zu sein. Wissen Sie, bis dahin war es mir gelungen, mich über die Veränderungen in meinem Aussehen hinwegzutäuschen, denn es gab keinen Spiegel im Pferch, aber dank der Grausamkeit des Direktors mußte ich jetzt der Wahrheit ins Auge sehen. Unglücklich und verzweifelt rollte ich mich auf meiner Matratze zusammen und weinte stundenlang über diese und andere subtile Zeichen des Älterwerdens. An den Fußballen und Fersen bildete sich schuppige Hornhaut. Ein Geflecht aus weißen Äderchen schimmerte an der Rückseite von Oberschenkeln und Waden durch meine früher undurchsichtige (und atemberaubende) Haut. Meine Brüste, wenn auch immer noch wohlgeformt, wirkten irgendwie voller und weniger straff. Und an den Ellenbogen – war das etwa der Beginn einer leichten Bursitis? Ein Alptraum.
»Du mußt Vergebung formatieren«, riet mir Freddy.
Lieber Chef, an Ratgebern fehlte es mir wirklich nie. Von meinen drei Freunden aus dem vorigen Kapitel hatte nur er überlebt, doch war er inzwischen so hinfällig, daß es ihn große Mühe kostete, sich bis zu meiner Matratze zu schleppen. Wahrscheinlich hätte ich ihn freundlicher behandeln sollen, aber ich war nicht in der Stimmung für philosophische Lektionen. Das Elend des hinter mir liegenden Monats, davor der Prozeß, hatten mir die letzten Illusionen geraubt, daß sich das Schicksal durch die von den Aquariern als heilbringend gepriesenen Praktiken günstig beeinflussen ließ. »Nichts mehr von dem Unsinn«, verbat ich mir seine Predigten. »Es steht mir bis hier!« Und ich konnte mir nicht verkneifen, ihm unter die Nase zu reiben, daß es auch ihm nichts genutzt hatte, er war nur immer grauer und faltiger geworden. »Ja. Zu spät … für mich,
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