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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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dauernd Prozessionen veranstalten!«
    Ich half meiner Freundin auf die Füße. »Wir können uns die Fanatiker und ihr Treiben ebensogut ansehen und aufpassen, daß Freddy sich nicht übernimmt.« Sie stützte sich auf mich, als wir zur Barriere gingen. Der überwiegende Teil der Bewohner unseres Pferchs hatte sich dort versammelt und überschüttete ihre frommen Nachbarn mit Beleidigungen, doch die andächtigen Prozessionsteilnehmer ließen keine Reaktion erkennen. »Abschaum! Ketzer! Dafür werdet ihr alle off line gehen!« gellte Freddy mit seiner dünnen und brüchigen Stimme.
    Zu meiner Information deutete Matilda auf einen großen Wigwam und sagte, das wäre die Wohnstatt von P-10. Es war nichts weiter als ein mit Klinikhemden verhängtes, zweckentfremdetes Klettergerüst, wie es auch in unserem Pferch stand. »Niemand von uns hier kann sich erinnern, P-10 jemals zu Gesicht bekommen zu haben«, erklärte Matilda, »doch seine Anhänger behaupten, er sei ein im vollen Umfang der Gnade teilhaftiger und erleuchteter Semi mit großen mystischen Kräften. Selbstverständlich ist er nichts weiter als ein Scharlatan, der darauf aus ist, sich ein bequemes Leben zu machen.«
    »Nun, etwas muß für ihn sprechen«, gab ich zu bedenken, »wenn er so viele Anhänger hat.«
    Die harmlose Bemerkung wurde von der alten Xanthippe gehört, die zufällig ganz in der Nähe stand, und sie regte sich gewaltig darüber auf, beschuldigte mich, mit den Semis zu sympathisieren und eine Anhängerin von P-10 zu sein. Nur mit Mühe gelang es Matilda und mir, sie und auch die anderen, die mich drohend musterten, zu überzeugen, daß ich nichts dergleichen hatte andeuten wollen. Widerwillig und nur aus Respekt vor Matilda akzeptierte sie meine Erklärung, verfluchte mich aber trotzdem, weil ich ihr Widerworte gegeben hatte. Anschließend wandten sich alle wieder der Barriere zu, um Freddy bei seinen zunehmend radikalen Schmähungen zu unterstützen. Mit schriller Stimme führte er den Chor an. »Exterminiert sie alle!« hörte ich ihn krächzen.
    Nach meinem Verständnis war das für einen Hochaquarier eine befremdliche Haltung gegenüber seinem Nächsten, doch ich behielt es für mich, um ihn nicht noch mehr aus dem Häuschen zu bringen. Die Prozession war bald zu Ende, und er wandte sich ab und mit ihm die übrigen ausgepumpten, speicheltriefenden, wankenden Radaubrüder. Ich reichte ihm den Arm, und er akzeptierte, denn er hatte sich völlig verausgabt. Seine Kraft reichte nur noch dazu, sich brummelnd zu beschweren, wie Horizonts erste Interspeziesgeneration von ihren überbesorgten Eltern – Menschen wie Androiden – verzogen worden war. »Sie halten sich für was ganz Besonderes.«
    Ich rief mir die Passagen aus meinen vor Gericht gezeigten Erinnerungen ins Gedächtnis, in denen ich Tad die Botschaft des Chefs vermittelt hatte. Mir war klar, daß ich riskierte, ihn wieder in Harnisch zu bringen, und doch mußte ich einfach sagen: »Vielleicht sind sie's. Erinnerst du dich nicht an die Prophezeiung des Chefs – die neunte Generation soll die erste hervorbringen?«
    Bevor er in die Luft gehen konnte, mahnte ihn Matilda, bis neun zu zählen; er befolgte den Rat und sah sich in die Lage versetzt, mir in gemäßigtem Ton zu erwidern, das sei weit entfernt von dem, was P-10 und seine Herde für sich in Anspruch nahmen – daß Er der Bote des Chefs sei und zur Erde herniedergestiegen, um die Entstehung einer neuen Variante der Spezies zu verkünden.
    »Die Sprüche könnten genausogut von einem beliebigen Werbefachmann bei Pirouet stammen«, warf Matilda ein, die selbst Anzeichen beginnender Gereiztheit erkennen ließ. Übergangslos fauchte sie mich an: »Ihr P9 haltet euch wirklich für der Weisheit letzten Schluß, was?« Offenbar hatte ich sie erzürnt. Eines zusätzlichen Beweises bedurfte es nicht mehr, als sie mir gleich darauf ins Gesicht spuckte. »Tilda!« rief Freddy zurechtweisend. »Das ist nicht die feine Art!«
    »Ist schon gut«, sagte ich. »Ich verzeihe dir.«
    »Das will ich hoffen! Lausiger P9!« Sie stieß mich aus dem Weg – nun ja, sie versuchte es. Ich trat beiseite, um sie vorbei zu lassen, doch sie schaffte nur die fünf Meter zu einer Gruppe debattierender Kollegen. Ich glaube, sie diskutierten die relativen Vorzüge ihrer jeweiligen Herstellungsverfahren. In ihrer gegenwärtigen Gemütsverfassung war Matilda eisern entschlossen, ihren Senf dazuzugeben. »Tut mir leid, Molly«, entschuldigte sich Freddy.

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