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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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Molly«, sagte er krächzend. (Inzwischen war zu seinen Gebrechen ein schweres Lungenemphysem hinzugekommen, verursacht zweifellos durch das ewige Geschimpfe auf die Ketzer.) »Aber du sagst … Benny hätte dir das neue … Mittel gegeben. Du hast eine Chance.« Ich entgegnete, dann hinge mein Leben von der Wirkung der chemischen Substanz ab. »Aber es … ist umgekehrt. Der Effekt, den die Substanz auf … dein System hat, hängt … von deiner Gemütsverfassung ab. Der Glaube kann Berge …« Erbittert schnitt ich ihm das Wort ab, bevor er mich mit einem weiteren Diskurs über die Wechselwirkung von Physis und Psyche quälen konnte; ich hatte das alles schon viel zu oft gehört. Ich sagte ihm, daß ich allein sein wollte. »Schon gut«, antwortete er. »Aber du machst … einen großen … Fehler.«
    Wäre er nicht so gebrechlich gewesen, hätte ich ihn mit einem Fußtritt auf den Weg gebracht. Ich wurde tatsächlich zänkisch, und daß ich es wußte, verstärkte meine üble Laune noch. »Wirst du jetzt gehen!« Ich war aufgebracht, weil er sich keinen Millimeter vom Fleck gerührt hatte. »Kann nicht«, wisperte er. »Meine Zeit … ist gekommen!«
    Augenblicklich änderte sich mein ganzes Verhalten. »Freddy, nein! Nicht programmierte Termination.« Er nickte, sank zu Boden und blieb auf dem Rücken liegen. Mitleid überwältigte mich, wie erst letzte Woche, als Matilda und Bernard off line gegangen waren. Er verschied ohne Kampf. Seine letzten Worte waren: »Denk an die … Genomen. Zell … ge … no … men.«
    Wie ein Aasgeier witterte der Greifer den Tod. Er fuhr herab, bevor ich noch eine Träne vergießen konnte, und stieß mich mit einem seiner fingerähnlichen Gliedmaßen wie einen Floh zur Seite. Dann trug er den toten Freddy zu einer Öffnung in der Decke und schob ihn hinein. Anschließend streckten und spreizten sich die Finger, ballten sich zur Faust, und der Arm zog sich wieder in die Warteposition zurück. Armer Freddy, ab zur Autopsie und dem abschließenden Eintrag in der Kartei.
    Wie bei jeder Termination im Pferch versetzte sein Hinscheiden die übrigen Insassen in Aufregung, denn jeder hatte Angst, als nächster an der Reihe zu sein. Zum Glück für einige von ihnen gab es die vergnügliche Ablenkung eines Empfangskomitees für einen verwirrten weiblichen Cyberen. Ich beging die große Sünde, dem Neuankömmling bei der traditionellen Begrüßungszeremonie zu Hilfe zu kommen, was von meinen Mitinsassen als unverzeihliche Brüskierung betrachtet wurde. Zur Strafe wurde ich von allen geschnitten. Mir war's recht, denn so hatte ich reichlich Zeit, um über mein letztes Gespräch mit Freddy nachzudenken.
    Ich kam zu dem Schluß, das mindeste, was ich zur Sühne für meine harten Worte tun konnte, war, seinen Rat zu befolgen; wie ich schon zu Micki Dee gesagt hatte, es gab für mich nichts zu verlieren, aber vielleicht einiges zu gewinnen, obwohl ich mir eine gewisse Skepsis vorbehielt. Dennoch begann ich das Experiment einer mehrstündigen Meditationsübung jeden Tag, unterteilt in Abschnitte von je dreißig Minuten, in denen ich ein Ende des Alterungsprozesses imaginierte. Natürlich hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wie ich dabei vorgehen mußte, da mir die Erinnerung an die Aquariertechnik fehlte, die Tad mich in Armstrong gelehrt hatte, wie auch an Andros Körper- und Geistmethode mit Molly II in Frontera, denn keine der beiden Episoden war bei der Verhandlung vorgeführt worden, doch ich vertraute darauf, daß meine Wahrhaftigkeit und lauteren Absichten als Kompensation mehr als ausreichten. Wenn ich so darüber nachdenke, deckte sich das genau mit Andros Attitüde. Mehrere Wochen lang entfernte ich mich nicht von meiner Matratze, fest entschlossen, mich bei der mir selbst gestellten Aufgabe von nichts und niemandem ablenken zu lassen. Doch kaum bemerkten die übrigen Insassen, daß ich den von ihnen ergangenen Ostrakismus auf diese Art nutzte und, schlimmer noch, davon zu profitieren schien – denn ich geriet nur noch selten in Zorn und verbreitete den milden Glanz einer sanguinischen Gemütsverfassung –, bekamen sie erst recht einen Haß auf mich und änderten ihre Taktik. Sie fingen an, mich bei jeder Gelegenheit zu verhöhnen. ›P-Zero‹ nannten sie mich, störten mich bei meiner Meditation, schlichen sich heran und brüllten mir ins Gesicht oder hielten mir die Ohren zu und begingen noch viele weitere kindische und gemeine Unverschämtheiten. Ich ertrug es bis zu einem gewissen

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