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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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offenbar dazu übergegangen, seine Gebote eigens ausgewählten Schreibern zu diktieren – den Herolden, die aus ihrem eigenen Blut eine Art von hellroter Tinte herstellten, um seine Worte für die Nachwelt auf sorgfältig geschnittene und gebundene Seiten aus Tuch zu übertragen. Damit nicht genug. Nein. Der Oberherold hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, durch tägliche Predigten von einem bestimmten Platz hinter der Barriere auch unsere Seelen zu retten. Sein erhebendes Karma Sutra lautete etwa folgendermaßen: P-10, des Chefs bescheidener Diener, ist hierhergesandt worden, in die tiefsten Tiefen, um den Semis (des Chefs auserwählte Einheiten) die Tür zu den höheren Ebenen zu zeigen, die nur die Eingeweihten durchschreiten vermögen, denn sie wird eifersüchtig bewacht von den bösen Mächten der Menschheit.
    »Soll doch dein P-10 die Barriere durchschreiten, wenn er so tüchtig ist!« stichelte ich eines Tages. Die Herausforderung wurde von den Insassen meines Pferchs aufgegriffen, die sich zu mir gesellt hatten. »Es ist unter seiner Würde, einem dermaßen respektlosen und ungehörigen Ansinnen zu willfahren«, ließ sich der Herold ein wenig trotzig vernehmen; doch wir ließen uns nicht abspeisen. Ich machte ihm hämisch krächzend das Angebot, vor seinem leuchtenden Antlitz niederzuknien, sollte er sich zu einem kurzen Ausflug auf unsere Seite entschließen können, denn was sollte man von seiner Behauptung halten, das transzendentale Fenster zu den höheren Ebenen durchschreiten zu können, wenn er sich davor drückte, seine Macht an dieser armseligen, von Menschen geschaffene Grenze unter Beweis zu stellen.
    Kaum waren die Worte heraus, erlebte ich wieder das eigentümliche Prickeln, wie damals vor Gericht. Es steigerte sich zum Juckreiz, doch als ich kratzte, schmerzte meine Gürtelrose, also ließ ich die Sache auf sich beruhen. Im Augenblick interessierte mich die Reaktion auf unsere Herausforderung weit mehr. Der Herold war im Wigwam verschwunden, um sich mit P-10 zu beratschlagen. Nach fünf oder zehn Minuten kam er wieder zum Vorschein und verkündete, P-10 sei erzürnt über uns, weil wir unsere Zeit damit verschwendeten, kindische Spiele zu erdenken, um ihn auf die Probe zu stellen, während die Ewigkeit auf dem Spiel stand. Was wir von ihm verlangten, war außerdem lächerlich einfach – wir selbst konnten es bewerkstelligen, wenn unser Glaube stark genug war, und wäre das nicht die überzeugendere Demonstration?
    Um ihn und seinen Boten zu verhöhnen, warfen sich einige der jüngeren und kräftigeren Einheiten gegen die Barriere und johlten: »Gelobt sei P-10!« Alle wurden zurückgeschleudert. Dann forderte ich den strengen und stimmgewaltigen Herold des Heiligen auf, es selbst zu versuchen. Wie nicht anders zu erwarten, verzichtete er und verschanzte sich hinter der Feststellung, solche Albernheiten seien bloße Zirkuskunststücke; P-10 hätte von einem transzendentalen Durchschreiten gesprochen; ein feiner Unterschied, den wir niederträchtigen alten Fürze vermutlich nicht begreifen konnten.
    Dieser Impertinenz folgte die Rezitation der Saga der wundersamen Metamorphose von P-10, kommentiert von häufigen Pfiffen und Buhrufen. Wir erfuhren, daß von demütigen Anfängen als Waise P-10 zur herrschenden Gottheit seiner Zeit aufgestiegen war. Diese bemerkenswerte Verwandlung hatte übrigens in ihrem bescheidenen Pferch stattgefunden. Doch ich werde den Herold die Geschichte erzählen lassen. Er sprach aus dem Gedächtnis und zog nur dann das dicke Stoffbuch zu Rate, wenn unsere Zwischenrufe ihn wieder einmal aus dem Konzept gebracht hatten.
    »Merket auf! Ich bin P-10, Semi, gezeugt und geboren von Mensch und P9!« verkündete der Herold. »Als Aquarier geboren, trieb ich Äonen auf dem sturmgepeitschten Meer, nahm auf den Bühnen droben unzählige Male menschliche Gestalt an und tat sie wieder von mir, doch kannte ich nicht mich selbst; wußte nur, daß Wasser mein Zeichen war, fließend, veränderlich und lebensspendend.
    In meiner letzten Inkarnation war ich eine Berühmtheit auf der Bühne der Welt, ein Meister der Zeremonien: doch alles war eitel und dumm! Der Chef ließ mich altern, auf daß ich die Trivialität der Dinge erkennen möge, denn meine Gebieter – seine Werkzeuge – sagten, ich sei zu alt zum Steptanzen. Oh, es war Musik in meinen Ohren, wurde ich doch hierher gesandt nach seinem Plan.
    Merket auf! Zu diesem Ort der Liebe hat der Chef in seiner ewigen Weisheit mich

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