Mein Leben als Androidin
Punkt, aber dann, wenn Konzentration und Selbstbeherrschung unwiderruflich dahin waren, keifte ich sie an: »Ihr dämlichen alten Droidenbastarde, gleich werde ich euch die Schaltkreise verbiegen!« Ja, ich stellte mich sogar mit ihnen auf eine Stufe und jagte die greise Horde durch den ganzen Pferch. Sie hielten es für einen herrlichen Spaß.
Nun, ich wäre vielleicht mit meinen Übungen fortgefahren, trotz ihrer Feindseligkeiten, hätte es das kleinste Anzeichen gegeben, daß meine Bemühungen Früchte trugen, aber nichts dergleichen. Im Gegenteil, ich verfiel zunehmend – wie meine Schicksalsgefährten nicht müde wurden, mir einzutränken –, und auch meine Kräfte schwanden stetig. Ich verlor den Mut und die Hoffnung, statt dessen wurde ich immer griesgrämiger und boshafter. Kurz gesagt, schließlich war ich genau wie sie, und man ließ mich in Ruhe. Einige gingen soweit, mich in ihren Kreis aufnehmen zu wollen, aber ich wies ihr Anerbieten zurück und hielt mich abseits, auch wenn ich in der Folge dem Trübsinn und Selbstmitleid anheimfiel.
Eine Ewigkeit verging (wenigstens kam es mir so vor), dann wurde ich zur nächsten Injektion abgeholt – eine Nachimpfung diesmal – und traf wieder mit Dr. Benway zusammen. Er war beunruhigt über mein Aussehen, allerdings nicht um meinetwillen – er attestierte mir, für meine zweiundsechzig noch ganz passabel beieinander zu sein; nein, er sorgte sich wegen der enttäuschenden Wirkung des Gegenmittels, das sich bis dato als ebenso ineffektiv erwiesen hatte wie die anderen in der Klinik entwickelten Substanzen. »Zu schade, daß ich dir kein anderes Serum verabreichen kann, Molly«, meinte er. »Seit unserer letzten Begegnung haben wir einige neue Testreihen begonnen, aber das würde die Kontinuität des Experiments ruinieren, deshalb fürchte ich, daß wir in diesem Fall weitermachen müssen wie bisher. Ich sehe dich zur nächsten Dosis, Anfang der Siebziger oder so.«
Drei bis fünf Monate später, nach meiner Rechnung, merkte ich, daß meine geistigen Fähigkeiten zu schwinden begannen, und stellte fest, daß es mir immer schwerer fiel, mein Pensum auf dem Laufband zu absolvieren; nach nur zehn Minuten war ich außer Atem und benötigte den Rest des Tages, um mich zu erholen. Unnötig zu erwähnen, daß ich mich nur schwer mit der unaufhaltsamen Entwicklung abfinden konnte. Wenn meine Kräfte es zuließen, unternahm ich melancholische Spaziergänge am Rand des Pferchs und achtete darauf, die Barriere als Orientierungshilfe immer rechter Hand zu behalten. Ich sann über die Sinnlosigkeit des Lebens nach und die unglaubliche Schlechtigkeit des Menschen – und auch des Homo androidus, denn letztere Spezies hatte sich in meinen Augen als ebensowenig liebenswert erwiesen. Ich fühlte mich beiden Lagern entfremdet, und ich verabscheute die Semis nebenan, die an ihren albernen Zeremonien festhielten – die tägliche Prozession und die blinde Verehrung von P-10. Es standen immer einige seiner Anhänger Wache vor dem Wigwam, also befand sich der heilige Eremit offenbar immer noch drinnen und tat der Chef weiß was. Die ergebensten seiner Anhänger gingen inzwischen völlig nackt, denn sie hatten die letzten Fetzen ihrer Hemden für die Wohnstatt des Heiligen gestiftet oder zur Auspolsterung seines Bettes. Na, das ist Charisma!
So weit, so gut, die Monate schlichen quälend langsam vorüber, und ich alterte unaufhaltsam. Regelmäßig verpaßte man mir neue Injektionen, die völlig wirkungslos blieben, wie Matilda es prophezeit hatte. Und so unternahm ich weiter meine deprimierenden Spaziergänge, obwohl mir auffiel, daß sie länger dauerten als zuvor. »Es geht wirklich dem Ende zu«, dachte ich. Ich war eine der Ältesten im Pferch. Fast alle Einheiten, die mich damals bei meiner Ankunft begrüßt hatten, waren längst dahingegangen. Der Anblick der Neuankömmlinge und auch der in mittleren Jahren befindlichen Einheiten war mir unerträglich, und sie ihrerseits schenkten mir wenig Beachtung. Kontakte, wenn es denn welche gab, beschränkten sich auf Zankereien wegen Kleinigkeiten. Ich kann mich entsinnen, eine von den Jüngeren gestoßen zu haben, weil sie mir nicht aus dem Weg gehen wollte. Ich verstauchte mir die Hand. Man stelle sich vor! Ich, ein P9, verstauchte mir die Hand, weil ich eine erbärmliche GA stübern wollte! Sie hatte den Nerv, darüber zu lachen.
Oh, und die Nachbarn hatte ich satt bis obenhin. Die waren der Gipfel. Der absolute Gipfel! P-10 war
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