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Mein Leben als Androidin

Mein Leben als Androidin

Titel: Mein Leben als Androidin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fine
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geleitet. Ja, hier in den tiefsten Tiefen von Benway wurde ich umsorgt von meinen Semibrüdern – dem gütigen, sanften, auserwählten Volk von Horizont. Sie entfachten aus der glühenden Asche der Selbsterkenntnis die darin enthaltene Flamme der Chefheit. Hier erwachte ich von dem Leben der vielen Leben, und hier werde ich das große Werk beginnen, des Chefs auserwählte Einheiten durch das Fenster zu den Höheren Ebenen zu führen – und all jene, die den Glauben haben, sollen gleichfalls erlöst werden.
    Denn ich bin es auch, der euch den rechten Weg weist! Hütet euch vor der Wächterin der tiefsten Tiefen, denn sie wird euch in die Irre führen, wie sie es mit mir tat. Hütet euch vor diesem falschen und betörenden Geschöpf! Sie wird euch glauben machen, sie sei ein wunderschöner und aufrichtiger Androide. Doch das ist sie nicht! Sie ist eine Verführerin! Sie täuschte mich mit süßen und zärtlichen Küssen. ›Die Gebieter der höheren Ebenen sind nur Menschen‹, schnurrte sie mir ins Ohr und flehte mich an, von der Suche abzulassen.
    Seid gewarnt! Leiht euer Ohr nicht diesem falschen Sukkubus, damit nicht auch ihr, die auserwählten Einheiten des Chefs, zu einem neuerlichen Lebenszyklus verlockt werdet, zu einem Leben der vielen Leben, das fließt und fließt, doch ohne Ziel. Laßt euch mein Beispiel zur Warnung dienen! Ich wußte nicht, wer ich war, noch was ich tat, doch spielte ich meine Rolle ohne Fragen, ohne Fehl. Ich kannte nicht mein wahres Format. Es wurde mir geraubt von der Handlangerin der Menschen, der wunderschönen Lügnerin. Geheißen wird sie Candida, und schon ihr Name birgt Gefahr!«
    Der Sermon geht noch weiter, doch muß ich mehr sagen? Selbst ohne Gedächtnis war sein Name präsent. Lance. Lance London. Und dann – dann stach dieses verflixte Prickeln wie ein Dorn in eine ergiebige Ader von tief in den Nukleus meiner Phytozellen eingebetteten Resterinnerungen, und ans Licht kam: Junior! »Tad junior!« rief ich.
    Der hagere, ausgemergelte frühere Star von Bühne und Holo trat aus dem Wigwam, reckte sich zu voller Höhe (nicht ganz, denn der Rücken war vom Alter gebeugt * ), beschirmte die Augen mit der Hand gegen das grelle, künstliche Licht und schritt entschlossen in die Richtung, aus der meine Stimme ertönt war – unverkennbar die klagende Stimme einer leidgeprüften Mutter. Seine Anhänger knieten nieder, und die gesamte Bevölkerung meines Pferchs drückte sich gegen die Barriere, um einen Blick auf die weißhaarige Erscheinung mit den fanatischen Augen zu werfen, bei der es sich entweder um einen umnachteten Irren handelte oder um einen Weisen und einen heiligen Semi.
    »Wer ist es, der mich Tahjuna nennt?« sprach er und blieb einen Meter vor der Begrenzung seines Pferchs stehen.
    »Tad«, flüsterte ich matt. »Endlich.«
    P-10 streckte die Hand aus, die Spitze seines Zeigefingers berührte die elektronische Barriere. Mit tönender Stimme erklärte er, mich zu kennen, auch in dieser neuen Gestalt, der Gestalt einer alten Frau, denn er wußte, wer sich dahinter verbarg: Candida, die schöne Zauberin und Lügnerin.
    Ich legte die flachen Hände gegen die Barriere und erflehte seine Vergebung, denn obwohl meine persönlichen Erinnerungen an die Stallungen verloren waren, wußte ich aus den während des Verfahrens gezeigten Sequenzen und auch Dahlias Kommentaren, daß ich ihm in irgendeiner Weise geschadet hatte. Ich bat ihn, den Schmerz meines armen Mutterherzens zu lindern. »Ich bin es, deine Mutter!«
    »Mutter?« Er lächelte; dann, mit einem Ausdruck unendlicher Weisheit, sagte er: »Nein. Der Chef ist Vater und Mutter. Aber du tust gut daran, Vergebung zu erflehen. Knie nieder, Candida, und empfange die Absolution, denn ich bin größer als du und fürchte dich nicht.«
    Mit diesen Worten trat er unter den erstaunten Ausrufen von beiden Seiten durch die Absperrung seines Pferchs und legte die wenigen Schritte bis zu unserer Barriere zurück. Alle machten eingeschüchtert Platz, als er hindurchtrat, vor mir stehenblieb und seine abgezehrte Hand auf meinen Scheitel legte, denn ich war rasch niedergekniet, um seinen teuren Segen zu empfangen. Bei seiner Berührung schwand eine ungeheure Last von meinen Schultern, ich erhob mich gestärkt und umarmte ihn. »Oh, mein lieber Junge!« rief ich aus und küßte ihn. Er trug es mit vornehmer Fassung;. Der Chef weiß, was als nächstes passiert wäre, hätte sein Durchschreiten der Absperrungen nicht den Alarm ausgelöst.

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