Mein Leben als Androidin
Jahrestag meiner unfreiwilligen Sterilisation durch Rolands Orchidaminpille, hatte Eva immer noch keine Ahnung von meiner wahren Natur. Liebe ist blind – oder etwa nicht? Unglücklicherweise gilt dasselbe für Bigotterie und Haß, ein Spruch, dessen Wahrheitsgehalt mir eines Sonntagmorgens Anfang November unbarmherzig vor Augen geführt wurde, während Eva und ich faul im Bett lagen, Stücke von der Eierschale aus dem ansonsten delikaten Omelett des Apple fischten und ab und zu einen Blick auf den Mediaschirm warfen. Wie es ihre Gewohnheit entsprach, schaltete Eva von einem Kanal zum anderen, bis sie zufällig an eine Sendung des Martian Broadcast Network geriet, und zwar handelte es sich um die Übertragung der Rede gegen die Rechte der Androiden von Reverend Blaine Fracass. Man bedenke, es sprach Reverend Fracass, der Kandidat der Partei der Humanisten und Präsident der Bewegung ›Der Mars den Menschen‹, also hörte man wenig über Gottes Willen, aber um so mehr über die liberale, pro-androide Bedrohung der Hochaquarier. Er gab dieser Organisation die Schuld an dem Androidenkodex, während eigentlich die LRA diese längst fälligen und vernünftigen Reformen ausgearbeitet, an die Öffentlichkeit gebracht und schließlich bei TWAC durchgeboxt hatte. Es war ihm nicht gelungen, die Ratifizierung des Kodex zu verhindern, doch schlug er mit großem Eifer und Geschick Kapital aus den daraus entstandenen Kontroversen. Er hatte sich die Aquas als Zielscheibe für seine Anwürfe ausgesucht, deren Gruppierung ein für den Normalbürger schwer zu begreifendes Phänomen darstellte und als Sammelbecken für Außenseiter und Exzentriker galt, statt sich mit der LRA anzulegen, die über zahlreiche Anhänger und Förderer in der interplanetaren Gemeinschaft verfügte. Mit dieser Methode gelang es dem verschlagenen Demagogen, den Grenzlandbewohnern genügend Angst einzujagen, um ihn zum Präsidentschaftskandidaten zu wählen. Ich erwähne das nur als Hintergrundinformation, falls einige meiner Leser vergessen haben, daß es eine Zeit gab, als sowohl der Kodex wie auch die Humanisten gerade erst auf der Bildfläche erschienen waren und Blaine Fracass noch am Anfang seiner Karriere stand.
Diese Rede, die erste, die Eva je von dem Reverend gehört hatte (obwohl sie seinen Namen kannte, da er in gewissem Sinne eine Berühmtheit war), diente dem Zweck, die interplanetare Gemeinschaft zu Spenden für seine Kampagne zu bewegen, und gipfelte in der Forderung, der Kodex dürfe weder auf der Erde noch auf dem Mond und dem Mars Gültigkeit erlangen, und daß seine ›verehrten Zuhörer‹ durch die Unterstützung der Bewegung Majorität Mensch ihren eigenen Interessen dienten. Zu meinem Entsetzen zeigte Eva sich tief beeindruckt, nicht etwa wegen seines Aussehens, das war alles andere als berückend – seine Ansichten sagten ihr zu! Guter Chef, ich wäre beinahe gestorben. Ihr anfängliches Interesse konnte ich begreifen, denn er stellte sich der Öffentlichkeit ohne ›Gesicht‹, eine wirkliche Neuheit in jenen Tagen und ein kluger Schachzug für einen überzeugten Humanisten, denn dadurch erhöhte er seine Glaubwürdigkeit auf einem Gebiet, in dem es wimmelte von makellosen Fassaden und distinguierten Physiognomien, allesamt ebenso falsch wie die Masken auf unserem Schminktisch. »Sieh dir das an!« rief sie aus und spießte mit ihrem Zeigefinger seine auf dem Holoschirm schwebende Knollennase und die garstigen Schweinsäuglein auf. »Er ist kahl und häßlich und bewirbt sich um das Amt des Präsidenten. Unglaublich!« Tja, selbst ich konnte ihm eine gewisse Bewunderung nicht versagen. Doch als sie bei seinen schreienden Unwahrheiten und unglaublichen Verdrehungen weise mit dem Kopf nickte und sagte: »Der Mann redet Tacheles«, empfand ich das als unverzeihlich. »Kann ein Mensch tatsächlich so schlecht informiert sein?« wunderte ich mich und kam zu dem Schluß, daß es an der Zeit war, sie mit etlichen mir bekannten und äußerst widerwärtigen Details über diese Stütze der Gesellschaft zu konfrontieren, in der Hoffnung, sie durch diese Informationen von ihrer plötzlichen Leidenschaft zu heilen.
Allerdings, Sie haben richtig geraten, lieber Leser. Der gute Reverend war der zweite Abonnent, der mir einen Heiratsantrag gemacht hatte. Wie es dazu kam und warum eine legalisierte Beziehung in seinem Interesse war, kann ich jetzt noch nicht erklären, denn Eva hing an jedem seiner Worte und wollte sich von mir nicht stören
Weitere Kostenlose Bücher