Mein Leben als Androidin
lenken, und fügte mit noch größerem Nachdruck hinzu: »Vielleicht war diese Tat, worum es sich auch gehandelt haben mag, etwas, das wir gemeinsam begangen haben und wofür wir beide zu dem gleichen Schicksal verurteilt wurden. Der Unterschied ist nur, daß ich ein Androide geblieben bin, während du …«
»O nein. Du bildest dir nur ein, immer noch ein Androide zu sein. Das habe ich dir schon erklärt, Candida.«
»Ich ziehe Molly vor.«
»Das war dein Name als Androide.«
Ich ließ es dabei bewenden. Um ihn wieder auf das eigentliche Thema zu bringen, sagte ich: »In jedem Fall, du hast es weit gebracht seither, aber du wirst nicht höher steigen können, bis du die Natur deiner damaligen Sünde erkannt und die Verantwortung auf dich genommen hast. Zu diesem Zweck hat das Schicksal mich zu dir geführt. Willst du also bitte kooperieren?«
Wenig begeistert gab er zu, daß ich recht hatte, und legte sich wieder auf das Bett. Meinen Anweisungen folgend, sank er in eine sehr tiefe, aber bewußte Stasis oder Trance.
So waren wir bei allen Sitzungen vorgegangen, und nachdem der optimale Zustand erreicht war, forderte ich ihn auf, in der Zeit zurückzugehen, bis zu seinem Dasein als Androide und den Ereignissen unmittelbar vor dem Verkauf: Gab es dort eine Erinnerung an ein Gefangensein in sich langsam drehenden Glasfaserkokons und an unzählige elektronische Sonden? Seine Reaktion bestand in beschleunigter Atmung, abgehackten, gutturalen Schreien und wimmerndem Ächzen. Kaum daß er in der Lage war, mir mitzuteilen, daß er seine Geburt erlebte.
Welch ein absurder und enttäuschender Rückschlag, dachte ich. Trotzdem ließ ich ihn gewähren, damit er sich von dieser Phantasievorstellung befreien konnte, denn nach meiner Ansicht stellte sie lediglich ein harmloses Ausweichmanöver dar, entstanden aus dem verzweifelten Bemühen, sich als Mensch zu beweisen. Ich brachte es sogar über mich, geduldig neben ihm zu sitzen, während er davon berichtete, von Zangen aus dem Geburtskanal gezogen, in das grelle Licht der Operationslampen gehalten zu werden und einen Klaps auf den Po zu bekommen. Er war in einem solchen Maße überzeugt von diesem Geburtserlebnis, daß er mir dringend empfahl, es auch einmal zu versuchen.
Nein, danke. Es reichte, wenn einer von uns sich ein X für ein U vormachen ließ, wehrte ich ab und erinnerte ihn daran, daß er seine Androidenexistenz wiedererleben sollte und sich nicht von implantierten Erinnerungen irreführen lassen. Er gab zur Antwort, die Geburt sei Wirklichkeit und der Beweis, daß er ein Mensch war. »Du wurdest als P9 verkauft«, hielt ich ihm entgegen. »Eine schreckliche Ungerechtigkeit«, erwiderte er. Ich hätte es wissen müssen. Er begann darüber zu spekulieren, daß er entweder durch Hinterlist in den Besitz des Androidenhändlers geraten war oder als Folge eines unglaublichen Mißverständnisses. »Auch kein größeres als das, dem du zur Zeit unterliegst«, bemerkte ich, aber er hörte nicht zu. Er stand unter dem Einfluß einer neuen inneren Stimme, die ihm zuflüsterte, daß wir uns in eben dieser Inkarnation sehr nahe gestanden hatten. Bevor ich ihn daran hindern konnte, versank er wieder in Trance und berichtete murmelnd von seinen Eindrücken.
»Ich bin drei, nein, vier Jahre alt. Allein. Keine Mutter. Kein Vater. Ich werde von Fremden ernährt und gekleidet.« (Ein deutlicher Rückschritt in die Anfangsphase unserer Therapie, als wir knietief durch programmierte Kindheitserinnerungen waten mußten, die selbst Dickens den Schweiß auf die Stirn getrieben hätten. Ich gähnte.) »Jetzt steckt man mich in einen kleinen Glaskasten, wie ein Brathähnchen für den Transport zum Markt. Da sind noch andere Kinder in ebensolchen Kästen. Wir werden auf eine Warenhausplattform gestapelt. Ich habe Angst. Irgend jemand schiebt mich in einen Laster. Ich höre eine Stimme. Da sind viele Stimmen, aber eine ist lauter als die anderen. Sie ruft meinen Namen, meinen wirklichen Namen. Tajunah! Ich bin Tajunah!«
»Tad junior«, berichtigte ich ihn leise.
Seine Augen waren weit offen und betrachteten mich staunend und voller Liebe. »Mutter!«
Es dürfte mir zur Ehre gereichen, daß ich nicht in Ohnmacht fiel.
Kapitel vier
Noch erstickte ich ihn in meiner Umarmung und überschüttete ihn mit mütterlichen Liebkosungen, der Augenblick war viel zu grotesk: Hatte sich doch mein Liebhaber (und Schauspielkollege) durch eine unerwartete Wendung des Schicksals als mein
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