Mein Leben als Androidin
verloren geglaubter, von einem Menschenvater gezeugter Sohn entpuppt. Nicht eben eine alltägliche Familienzusammenführung. Wir waren beide derart überwältigt, daß ich mich selbst heute nicht entsinnen kann, wer zuerst in wessen Arme sank, aber so geschah es natürlich, und ich brachte es nur fertig, mich von ihm zu trennen, weil zwei IBMs die Stallungen nach mir durchsuchten. Man hatte mich gerufen, und ich war nicht erschienen. Es gelang mir, unbemerkt in den Duschraum zu schlüpfen, in Windeseile Kostüm und Maske hinter mich zu bringen und unauffällig meinen Platz einzunehmen. Glück gehabt. Doch der Schrecken über die Beinahe-Katastrophe war nicht groß genug, um zu verhindern, daß ich mich während der Aufnahmen in Gedanken mit meinem wiedergefundenen Sohn beschäftigte, insbesondere mit seiner Lebensgeschichte, die er mir atemlos erzählt hatte und die ohne weiteres noch ein Buch füllen würde. Nur soviel: Nachdem der Container aus der Reichweite seines Vaters entschwunden war, wurde er einige Stunden später von einem Glasbodenboot aufgefischt (eine Annehmlichkeit für Touristen, die das feuchte Grab des alten Los Angeles besichtigen wollten) und von dem Kapitän unter der Hand für einen stattlichen Profit an ein japanisches Ehepaar verkauft, das auf den Inseln Urlaub machte und dessen Interesse an einer solchen Kuriosität ihrer Fähigkeit entsprach, in hartem Melamin dafür zu bezahlen. Junior verlebte zwei Jahre in ihrer Heimat, wuchs heran und wurde darauf programmiert, im Haus als Butler zu fungieren und außerhalb als Leibwächter, so daß seine Gebieter ihren ›Yanksemi‹ den Nachbarn vorführen konnten, denn aufgrund der damaligen strikten Importbeschränkungen waren Einheiten aus westlicher Fabrikation äußerst rar. Mit ihrer Prahlerei lenkten sie allerdings größeres Interesse auf die Kaufmodalitäten, als ihnen lieb war; sie mußten befürchten, die Aufmerksamkeit der AÜ zu erregen. Aus diesem Grund verhökerten sie Junior bei einem Besuch in Hollymoon mit beträchtlichem Verlust an den bereits erwähnten Gebrauchtandroidenhändler. Danach wurde er an Stellar Entertainments verkauft und entwickelte sich – wie allgemein bekannt – binnen kürzester Zeit zu einem besonders hellen Licht in ihrem Pantheon.
Was mich aber so in Aufregung versetzte, daß ich mein Stichwort verpaßte und mir eine Rüge einhandelte, war die freudige Erkenntnis, daß er nicht einmal von Rehabilitation gesprochen hatte. Deshalb war er mit ziemlicher Sicherheit weder mit einem Internen Zensor ausgestattet – das erklärte seine Fähigkeit zu selbständigem Denken – noch jemals sterilisiert worden. Damit verschwanden auch meine letzten Zweifel bezüglich der Symptome, die sich seit unserer letzten Sitzung – deren amouröse Einleitung besonders leidenschaftlich ausgefallen war – bemerkbar machten. Ich erlebte eine unverwechselbare Renaissance der Übelkeit, Abgeschlagenheit und Hungergefühle, unter denen ich im Kloster gelitten hatte. Ich war überglücklich, doch auch erschüttert von einer zweiten Erkenntnis im Gefolge der ersten: Ich ging mit meinem eigenen Enkelkind schwanger!
Später, in den Stallungen, als ich dem stolzen Vater die Neuigkeit mitteilte, leugnete er jede Verbindung des Kindes mit unserer – wie er sich ausdrückte – früheren Androidenexistenz. Hätte ich ihn nicht geliebt, wäre mir der Kragen geplatzt, denn ich mußte einsehen, daß er nach all meinen therapeutischen Bemühungen noch unbeirrbarer an seiner Überzeugung festhielt, wir seien zwar einst Androiden gewesen, aber seither zum menschlichen Ende des Spektrums aufgestiegen. Sogar mein Bericht von den Opfern seines Vater konnte ihn nicht davon abbringen, noch schenkte er meinen Worten Glauben, daß Tad senior sich auf dem Mond aufhielt, vielleicht sogar ganz in der Nähe, in Armstrong, und wir nur etwas Unternehmungsgeist brauchten und Glück, um von hier zu fliehen und ihn zu finden. »Sei nicht albern«, tadelte er mich. »Ich habe es doch schon erklärt, er gehört zu einer vergangenen Existenz, in der ich Tahjuna war und du meine Androidenmutter.«
Also wiederholte ich es noch einmal, klipp und klar: Tad ist sein Vater, ich bin seine Mutter und Geliebte, unser Kind wird sein Halbbruder oder seine Halbschwester sein, und dieses Leben ist das einzige Leben, dessen er sich jemals halbwegs sicher sein kann, und je eher er das akzeptiert, desto besser, denn wenn sich nicht bald etwas ändert, wird er eine Marionette
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