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Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story

Titel: Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Omar Nasiri
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und Menschen auf weite Entfernung zu treffen. Wir studierten topographische Karten und prägten uns die komplizierten mathematischen Formeln ein, mit deren Hilfe wir den richtigen Abschusswinkel ausrechnen konnten. Einige unserer Geschütze konnten noch Ziele treffen, die drei Kilometer entfernt lagen. Dafür mussten natürlich alle unsere Berechnungen stimmen.
    Diese mathematischen Berechnungen waren deshalb so schwierig, weil dabei so viele Variablen zu berücksichtigen waren: Höhe, Feuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Temperatur, Kaliber, Rohrabnutzung, die Art der Treibladung und so weiter. Ich hatte in meinen belgischen Schulen einen guten Mathematikunterricht genossen, deswegen fiel mir dieser Ausbildungsteil nicht allzu schwer. Aber ich war beeindruckt, dass viele der übrigen Brüder ähnlich gute Fortschritte machten. Viele Araber waren recht gut ausgebildet, was man aber von den Tadschiken, Usbeken und Kaschmirern kaum sagen konnte. Trotzdem konnten diese immer irgendwie mithalten und waren tatsächlich oft besser als wir anderen. Sie schienen diese Materie rein instinktiv zu beherrschen.
     
    Nachdem wir eine Woche lang Formeln im Unterrichtsraum geübt hatten, zogen wir mit Abu Hamam ins Gelände, um einmal unsere Kenntnisse praktisch anzuwenden. Wir trugen einen Mörser aus dem Lager und dann einen Berg hinauf. Jenseits eines breiten Tales lag eine andere Anhöhe, auf der ein großer Steinhaufen lag, den jemand dort als Übungsziel aufgeschichtet hatte.
    Wir hatten die notwendigen ballistischen Berechnungen bereits im Unterrichtsraum ausgeführt und die entsprechenden Unterlagen jetzt ins Feld mitgenommen. Als Erstes gruben wir ein kleines Loch, um die Bodenplatte zu stabilisieren, und klappten dann die Zweibeine aus, um den Mörser zu fixieren. Dann stellten wir uns in einer Reihe auf, und nacheinander justierte jeder von uns den Winkel des Mörserrohrs und feuerte dann auf das Ziel auf der anderen Seite des Tales.
    Beim ersten Mal schossen wir tatsächlich alle daneben. Abu Hamam forderte uns auf, uns genau zu merken, wo unsere Granaten gelandet waren, damit wir unsere Berechnungen entsprechend umändern konnten. Daraufhin kritzelten wir alle auf unseren Papieren herum und stellten uns dann erneut hintereinander auf. Auch dieses Mal verfehlte jeder von uns das Ziel. Allmählich wurden wir äußerst frustriert. Wir hatten monatelang geübt und uns alle für unbesiegbar gehalten. Und jetzt standen wir da, hatten eine ganze Woche gerechnet und uns auf diesen Moment vorbereitet – und hatten alle versagt.
    Bei der dritten Runde schossen die ersten beiden Brüder erneut daneben. Ich entschloss mich daraufhin, dieses Mal Papier Papier sein zu lassen und mich stattdessen auf die Zieloptik und meine Intuition zu verlassen. Die Flugbahn der Granate war eine einfache Ellipse, und da mein Geschoss beim letzten Mal hoch über dem Ziel gelandet war, musste ich jetzt einfach das Rohr etwas senken. Alle anderen Variablen blieben konstant, so dass ich nicht alles neu berechnen musste.
    Dieses Mal schlug die Granate voll ins Ziel ein. Als ich mich umdrehte, merkte ich, dass die anderen sehr beeindruckt waren. Aber dann zog noch etwas anderes meinen Blick auf sich: Auf dem Abhang über uns saß Ibn Sheikh und beobachtete uns. Ich hatte ihn nicht kommen sehen oder hören und war deshalb überrascht, ihn hier oben zu erblicken. Er winkte mich zu sich heran, und ich setzte mich neben ihn.
    „Warum hast du deine Aufzeichnungen nicht benutzt?“, fragte er mich. Gerade als er das sagte, feuerte ein Tschetschene den Mörser ab. Seine Granate landete etwa fünfzig Meter links vom Ziel.
    „Es ist wie beim Steinewerfen“, antwortete ich. „Man braucht gar nicht alle Berechnungen.“Nach den ersten Worten legte Ibn Sheikh den Finger auf die Lippen und bedeutete mir dadurch, dass ich leiser sprechen sollte. Ich nahm an, dass er nicht wollte, dass ich die anderen in ihrer Konzentration störte. Ich fuhr also im Flüsterton fort: „Man kann einfach härter oder weniger hart, höher oder niedriger werfen, wenn man das Ziel doch noch treffen will. Das Gleiche gilt auch für den Mörser.“
    Ibn Sheikh lächelte mich an und flüsterte mir dann ins Ohr: „Sehr gut, Abu Imam. Aber erzähle das nicht den anderen. Ich möchte sehen, ob sie von allein darauf kommen.“
    Diese Bemerkung verwunderte mich. Gerade Ibn Sheikh hatte uns immer wieder erklärt, wir sollten alles mit unseren Brüdern teilen und ihnen bei jeder Gelegenheit

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