Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
Er kam einige Tage nach mir an, und ich konnte sofort erkennen, dass er sich von den anderen unterschied. Er war nicht reich, wie an seiner Kleidung zu sehen war. Und er war nicht so weich und sanft wie die anderen.
An einem Nachmittag sah ich ihn mit einer der Wachen sprechen. Er schien äußerst aufgebracht zu sein. Nachdem sie geendet hatten, ging ich zu ihm hinüber und fragte, was sein Problem sei.
„Mein Sohn braucht dringend Unterrichtsmaterialien“, antwortete er mir auf Englisch. „Aber ich habe kein Geld mehr. Ich habe alles ausgeben müssen, um hierherkommen zu können.“
Im weiteren Gespräch erzählte er mir, dass er seinen Sohn von Tschetschenien hierhergebracht hatte, um ihn vor dem dortigen Krieg zu schützen. Der einzige Weg, wie er ihn aus dem Land bekommen hatte, war ein Studentenvisum gewesen, und Pakistan war das billigste Land, in das sie beide flüchten konnten. Aber er wusste auch, dass sein Sohn auf einer hiesigen Universität bestimmt von den Mudschahidin angeworben und in ein Ausbildungslager und danach wieder zurück nach Tschetschenien geschickt werden würde, um dort gegen die russischen Aggressoren zu kämpfen. Er erzählte mir, wie schrecklich dieser Krieg inzwischen geworden sei und dass die Russen das gesamte Land zerstörten, wie sie es vor einigen Jahren in Afghanistan getan hätten. Er wollte einfach nur seinen Sohn retten. Er hatte Tränen in den Augen, als er das sagte.
An diesem Abend kamen der Tschetschene und sein Sohn zu mir herüber und legten ihre Schlafsäcke neben den meinen. Als ich den Vater mit seinem Sohn sprechen sah, konnte ich sehen, wie sehr er ihn liebte, ohne dass ich ein einziges ihrer Worte verstand. Er lächelte, als er seinem Sohn half, sich zur Nacht bereitzumachen. Der Sohn andererseits wirkte hart und kalt. Seine Augen waren ohne Leben, und er sprach fast nichts.
Nachdem der Vater eingeschlafen war, hörte ich, wie sich der Sohn unruhig in seinem Schlafsack hin- und herbewegte. Nach ein paar Minuten flüsterte ich zu ihm hinüber: „Du kannst nicht schlafen, nicht wahr?“
„Nein“, antwortete er.
Ich wartete eine Minute, ob er noch etwas sagen würde, aber alles, was ich hörte, waren seine unruhigen Bewegungen.
„Es ist hart für euch in Tschetschenien, nicht wahr?“
Lange geschah danach gar nichts. Dann wisperte er mir durch die Dunkelheit zu:
„Ich möchte sie alle töten.“
Am nächsten Morgen holte ich 400 Dollar aus meinem Geldgürtel und gab sie seinem Vater.
Er sagte nichts zu mir und ich nichts zu ihm. Aber seine Augen standen voller Tränen.
Einige Tage später wurde ich zusammen mit ein paar anderen nach Lahore geschickt, um „khurooj zu machen“, worunter sie eine Art Missionsarbeit zur Verbreitung der tabligh verstanden . Unsere Gruppe bestand insgesamt aus zwölf Mann. Wir gingen in die schlimmsten Slums der Stadt. Die Leute dort hatten ganz offensichtlich schon zuvor Gruppen aus dem Zentrum gesehen. Sie kamen auf uns zu, boten uns Essen an und luden uns in ihr Haus ein.
Drei Tage lang wanderten wir auf diese Weise durch die Märkte und Straßen von Lahore. Nie zuvor hatte ich eine solche Armut gesehen. Auch in Marokko gab es Slums, aber nichts, was mit diesen hier zu vergleichen gewesen wäre. Durch die Straßen liefen die Abwässer, und selbst Erwachsene wateten durch sie hindurch, ohne sich etwas dabei zu denken.
Ich sollte ihnen eigentlich etwas über die „Sechs Prinzipien“erzählen, aber ich hatte bei den Unterrichtsstunden ja nicht aufgepasst, deswegen wusste ich nicht, worum es sich dabei handelte. Und so erfand ich immer etwas, was zur jeweiligen Situation passte. Die ganze Zeit begleitete mich ein Führer, der den Zuhörern meine Worte übersetzte.
Auf den Straßen sah ich viele Männer und Frauen, deren Mund vom Kauen von Betelblättern ganz rot geworden war. Diese leicht narkotisierenden Blätter, die in Pakistan pan genannt werden, konnte man hier überall kaufen. Das machte mich wütend. Ich sprach diese Leute an und sagte ihnen, dass dies eine Droge und deshalb tahout sei. Als ich einige Zeit später vor einer Moschee saß, trat ein Mann an mich heran und fragte mich, ob er sich unserer Gruppe anschließen und mit uns kommen könne. Ich schaute ihn genau an. Um den Hals trug er ein Amulett an einem Lederband.
„Nein, du kannst nicht mit uns kommen“, teilte ich ihm mit.
Er war verblüfft. „Warum denn nicht?“
„Deswegen“, sagte ich und deutete auf sein Amulett.
„Was ist daran
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