Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
und hatte schon einen Weg gefunden, in die Ausbildungslager zu gelangen. Kurzzeitig wünschte ich mir, dass Gilles mich jetzt sehen könnte und erkennen müsste, wie sehr er und die DGSE sich in mir getäuscht hatten. Aber dann schob ich diesen Gedanken beiseite. Ich musste Gilles, die DGSE und diesen ganzen Teil meines Lebens völlig aus meinem Kopf verbannen, wenn ich in den Lagern Erfolg haben wollte.
PESCHAWAR
Als wir in Peschawar landeten, begab ich mich sofort zum Taxistand. Alle paar Sekunden versuchte mich dort ein anderer Fahrer mit der Behauptung, er sei der billigste, in sein Taxi zu locken. Nach etwa zwanzig Minuten kam endlich Abu Anas in Begleitung eines Pakistaners aus dem Flughafengebäude. Abu Anas stellte mir diesen als unseren Fahrer vor, der uns jetzt zum Tabligh-Zentrum bringe, wo wir die Nacht verbringen würden.
Während der Fahrt erklärte mir Abu Anas, dass es zu gefährlich sei, noch an diesem Abend zum Flüchtlingslager hinauszufahren. Deshalb würden wir uns erst am nächsten Tag mit den Arabern treffen. Bis dahin solle ich vorsichtig sein und versuchen, keinen Verdacht zu erregen. Die Tabligh-Zentren seien voller mukhabarat, pakistanischer Geheimdienstleute. Viel später erfuhr ich, dass eine Gruppe von Armeeoffizieren im vorangegangenen Herbst versucht hatte, die Regierung zu stürzen. Nachdem sie verhaftet worden waren, stellte sich heraus, dass sie Verbindungen zu Tablighi Jama’at hatten. Von alldem erzählte mir Abu Anas nichts. Er warnte mich nur, solange wir im Zentrum seien, so wenig wie möglich und insbesondere nicht ein Wort Arabisch zu sprechen.
In diesem Frühjahr des Jahres 1995 war es gefährlich, sich in Pakistan als Araber zu erkennen zu geben. Der islamische Extremismus war damals im Aufstieg begriffen, obwohl die Premierministerin Benazir Bhutto ihn seit Jahren bekämpfte, vor allem seit die Vereinigten Staaten gedroht hatten, Pakistan auf die Liste der Staaten zu setzen, die den Terrorismus unterstützen würden. Aber sie schien diese Schlacht zu verlieren: Ein Jahr zuvor waren zwei amerikanische Beamte des US-Konsulats in Karatschi auf dem Weg zur Arbeit ermordet worden. Und nur ein paar Monate vor meiner Ankunft in Pakistan war Ramzi Ahmed Yousef, der Organisator des Bombenanschlags auf das World Trade Center von 1993, in Islamabad verhaftet worden, was die Augen der Welt endgültig auf die Rolle dieses Landes bei der Herausbildung des islamischen Extremismus gelenkt hatte. Bhutto wollte nun der ganzen Welt zeigen, dass sie gewillt war, sich diesem radikalen Islam entgegenzustellen. Und sie wollte das vor allem Amerika beweisen, da sie sich gerade um den Erwerb mehrerer F-16-Kampfjets bemühte, deren Kauf bisher durch die US-Sanktionen gegen ihr Land wegen dessen geheimen Atomwaffenprogramms nicht zustande gekommen war.
Bhuttos Regierung ging dabei besonders hart gegen die Araber in ihrem Land vor, denen sie vorwarf, den Extremismus in Pakistan zu schüren. Ein Jahr zuvor hatte sie die arabischen Veteranen des sowjetisch-afghanischen Krieges aufgefordert, das Land zu verlassen. Als diese sich weigerten, führte die Polizei einige aggressive Razzien durch, um sie aus dem Land zu treiben. 1995 nahm dieser polizeiliche Druck auf die Araber sogar noch zu, als der Krieg in Bosnien zu Ende gegangen war und viele arabische Kämpfer den Balkan verließen und nach Afghanistan und Pakistan zurückströmten.
Es war damals also für Araber in Pakistan eine gefährliche Zeit.
Wir übernachteten wie vorgesehen im Tabligh-Zentrum, das außerhalb von Peschawar lag. Es glich dem in Raiwind: Auch hier saßen Hunderte von Männern auf dem Boden, die alle diesen leicht abwesenden Gesichtsausdruck hatten. Inzwischen stießen mich diese schwachen, verlorenen Menschen und ihre Philosophie der Tatenlosigkeit regelrecht ab.
Abu Anas und ich wechselten in dieser Nacht kein einziges Wort. Wir führten unsere Waschungen durch, vollzogen unsere salat und aßen zu Abend, dann gingen wir sehr früh zu Bett. Am nächsten Morgen zog ich meinen weißen salwar kameez an und gemeinsam mit den anderen verrichteten Abu Anas und ich unsere salat . Wir verließen das Zentrum und frühstückten in einem Café in der Nähe. Danach stiegen wir in einen Bus, der uns zum Flüchtlingslager von Peschawar brachte. Wir fuhren mehrere Kilometer auf einer Straße, die so voller Läden, Menschen, Tiere und Fahrzeuge aller Art war, dass man sie kaum noch als Straße bezeichnen konnte. Und überall sahen wir
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