Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
“, setze ich an.
„Ich weiß, dass er auf viele arrogant wirkt“ – funkel, funkel, machen Annas Brillengläser –, „aber das liegt doch nur daran, dass er schon so erwachsen ist!“
Erwachsen? Bin ich im falschen Film, oder reden wir über zwei verschiedene Personen? Wo ist Mr Muskel bitte schön erwachsen? Mein kleiner Bruder ist hundertmal erwachsener als der!
„Immerhin ist er schon siebzehn“, fährt Anna fort – funkel, funkel – , „und macht nächstes Jahr Abi.“
„Ähm“, versuche ich es noch einmal, weil sich mir nicht erschließt, was Abi und Alter mit Lukas’ miesem Benehmen zu tun haben sollen, aber Anna würgt mich ab.
„Oder bist du eifersüchtig? Weil wir so viel zusammen unternehmen und ich nicht mehr so viel Zeit mit dir verbringe? Bist du deshalb sauer und lässt es dann an ihm aus?“
„Nein!“, protestiere ich sofort. „Das ist doch Blödsinn! Ich finde ihn einfach nur … “
Ja, wie finde ich ihn? Hohl, überheblich, besitzergreifend, aufgeblasen, zum Kotzen.
Aber soll ich Anna das etwa sagen? Verträgt unsere Freundschaft so viel Ehrlichkeit?
Nein, beschließe ich. Anna ist viel zu sensibel für die Wahrheit, und eines Tages wird sie vielleicht von selbst darauf kommen, dass sie ihre kostbare Zeit mit Lukas nur verschwendet.
„Ich glaub, wir haben einfach nicht die gleiche Wellenlänge“, argumentiere ich stattdessen schwach. „Wir reden aneinander vorbei und – “
„Wann hast du denn schon mal mit ihm geredet?“, schnaubt Anna. „Du gibst dir doch überhaupt keine Mühe, ihn näher kennenzulernen!“
Okay, guter Einwurf. Ich lege wirklich keinen gesteigerten Wert darauf, Mr Tentakel näher kennenzulernen. Zum Glück gongt es in dieser Sekunde.
„Mensch, Anna … können wir das nicht irgendwie trennen? Wir kennen uns schon so lange. Es hat doch nichts mit unserer Freundschaft zu tun, dass ich mit Lukas nicht so gut auskomme.“ Ich tapse neben ihr her, um eine gütliche Einigung bemüht.
„Wenn du meinst“, zischt sie und verschwindet im Gewusel. „Ich sehe das ein bisschen anders. Tschüs.“
„Tschüs“, murmele ich und bleibe ratlos zurück.
Während der folgenden Doppelstunde Englisch grübele ich intensiv darüber nach, ob ich eine schlechte Freundin bin. Vermutlich ja, sonst würde ich den Freund meiner Freundin doch ohne Wenn und Aber akzeptieren, wie er ist, mich mit den beiden über ihr junges Glück freuen und tonnenweise Blümchen über ihnen ausschütten, oder? Aber es will mir nicht gelingen. Irgendetwas gefällt mir an diesem Lukas nicht. Ich weiß nur nicht was. Es ist nicht nur seine Überheblichkeit und seine besitzergreifende Art. Es ist das Gesamtbild, das ich nicht mag.
BIN ICH EINE SCHLECHTE FREUNDIN ???, kritzele ich auf einen Zettel und schiebe ihn zu Lena rüber.
NO !, krickelt Lena zurück. WHY ?
Tja, warum.
NUR SO … Was das auf Englisch heißt, fällt mir nicht ein.
Lena antwortet mit einem Smiley.
Das Doreensche reißt mich unsanft aus meinen Grübeleien, indem sie für übermorgen einen Test ankündigt. Durch die Klasse läuft ein kollektives Aufstöhnen, doch die Lady bleibt hart. So klein und zierlich sie auch ist, sie hat das Durchsetzungsvermögen eines Steinbeißers.
„Wollen wir heute Nachmittag bei mir üben?“, fragt Lena.
Ich bin sofort einverstanden. Englisch ist wichtig für meine Reise- und Zukunftspläne. Ich kann mir nicht erlauben, schlecht darin zu sein. „Um drei?“
„Perfekt!“
Das Doreensche nickt uns very charming zu, bevor sie sich mit einem „Goodbye, class“ von uns verabschiedet.
*
„Nimmst du eigentlich die Pille?“ Lena nippt an ihrem Cappuccino und zieht eine Augenbraue hoch.
„Wa-wa-was? Wie kommst du denn darauf?“ Ich verschlucke mich fast an meinem Keks.
„Na, du und Phillip, ihr kennt euch schon ziemlich lange, oder? Und so, wie ihr auf deiner Party rangegangen seid … “ Sie lässt den Satz unvollendet und hebt ihre Augenbraue noch ein Stück höher. Wie macht sie das? Es sieht ziemlich cool aus. Ich will das auch können! „Oh, là, là“, haucht sie mir eindeutig zweideutig ins Ohr.
Wir sitzen in ihrer Küche beziehungsweise in der Küche ihrer Mütter. Alles ist bunt und alt und ein bisschen schief. Lenas Mütter haben einen Hang zu Flohmärkten, und das sieht man an jedem einzelnen Stück in der Wohnung, nicht nur an den Möbeln.
Kein Stuhl passt zum anderen. Überall hängen alte Bilder, Lampen aus dem vorvorigen Jahrhundert und große, schon
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