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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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erste Ingenieur nahm die Plakate mit den Schacheröffnungen von der Wand und ging zu einem Schachclub. Meinen Vater traf die gesellschaftliche Umwälzung jedoch ins Mark. In die Räume der Planabteilung sollte ein Reisebüro einziehen. Zuerst hatte mein Vater noch die Hoffnung, die neuen Herren würden ihm seinen Zitronenbaum für zweitausend Rubel abkaufen, denn der ließ sich inzwischen nicht mehr aus dem Zimmer heraustragen. Er passte weder durch die Tür noch durchs Fenster. Doch die Jungkapitalisten hielten nichts von Zitronenbäumen. Sie wollten ein Aquarium. Sie stellten meinem Vater ein Ultimatum. Verzweifelt nahm mein Vater eine Axt und zerhackte den Sinn seines Lebens zu Holzspänen. Bevor er das tat, pflückte er allerdings noch die allerletzte Zitrone vom Baum – und nahm sie mit nach Berlin. Hier drückte er die Kerne in einen Blumentopf, in den meine Mutter eine Geranie gepflanzt hatte. Die Geranie ging sofort ein, aber an ihrer Stelle wuchs nach wenigen Monaten ein Zitronenbaum aus Moskau heran. Ein Wunder war geschehen. Der Sinn im Leben meines Vaters war nachgewachsen. Seit ungefähr fünf Jahren trägt sein Bäumchen nun auch wieder Früchte. Sie sind noch kleiner und noch saurer geworden. Der Zitronenbaum steht heute im Zimmer meines Vaters in einem speziell angefertigten Kübel. Manchmal denke ich, mein Vater und dieser Baum gehören zusammen. Mehrmals schlug ich ihm vor, seinen Baum in meinen Garten umzupflanzen, aber er ging nicht darauf ein.
    Meiner Meinung nach haben ausgewachsene Bäume in einer Wohnung allerdings nichts zu suchen. Wir haben uns im Laufe der Jahre nur einmal einen Baum in die Wohnung gestellt, einen Katzenbaum für unseren Kater Fjodor Dostojewski. Ihm ging es damals nicht gut. Für uns alle überraschend hatte er in kürzester Zeit große Teile seiner Intelligenz verloren und handelte nur noch nach seinen Instinkten. Der Schatten seiner wilden Vorfahren aus dem Katzendschungel Nordafrikas legte sich über unseren intelligenten Kater. Fjodor rannte durch die Wohnung, knirschte mit den Zähnen, als würde er gerade eine junge Antilope durch die Wüste jagen, und zerkratzte dabei ständig die Tapeten. Der fachkundige Zooladenbesitzer meinte, unser Kater bräuchte unbedingt einen Katzenbaum. Als enger Freund von Dostojewski kaufte ich ihm sofort einen solchen, aber nicht irgendeinen, sondern den Katzenbaum »New York« mit einer extra stabilen Kratzfläche für Übergewichtige – ein Traumbaum für Tier und Mensch. Fjodor mied ihn jedoch. Alle meine Versuche, ihm das Wunderwerk näherzubringen, scheiterten. Kaum kratzte ich am Baum, lief er weg.
    Ich ging zurück in den Laden. Der Katzenspezialist bot mir eine Spraydose mit einem Katzenspieltrieb-Entwickler an – einen Duft, dem alle Katzen folgen würden. Der Vollständigkeit halber kaufte ich auch gleich noch das Gegenmittel, ein so genanntes Katzenfernhalte-Spray, um die Fernsteuerung von Dostojewski zu vervollständigen. Ich dachte dabei an meinen Vater, der sich einmal in der Apotheke ein natürliches Mittel gegen Verstopfung gekauft hatte und gleich am nächsten Tag wieder in die Apotheke rennen musste, um sich ein Mittel mit entgegengesetzter Wirkung zu besorgen. Die darauf folgende Woche verbrachte er wie Alice im Wunderland: Mal naschte er von dem einen Mittelchen, mal kaute er das andere, um wieder Herr seiner eigenen Verdauung zu werden, doch die moderne Medizin wollte ihn nicht aus ihren Klauen lassen.
    Bei unserem Kater funktionierte die Spraysteuerung erst einmal perfekt. Ich besprühte den »New York«, Fjodor setzte sich drauf und rührte sich nicht mehr vom Fleck. Er ging nicht einmal mehr aufs Klo. Nur wenn ich nach dem Gegenmittel griff, stand er auf. Bald bewegte sich der Kater ohne Duftzugabe gar nicht mehr. Das konnte nicht lange gut gehen. Und bald war es auch schon so weit: Die Kinder entdeckten die Spraydosen. Auf beiden Fläschchen stand in großen Buchstaben: »Nicht die Katze besprühen!« Doch kleine Kinder lesen bekanntlich nicht, was auf kleinen Fläschchen geschrieben steht, und besprühten den Kater aus beiden Fläschchen gleichzeitig. Es war zweifellos ein vorsätzlicher Tierversuch, aber doch auch ein interessantes Experiment. Wir waren alle gespannt, wie der Kater reagieren würde. »Mag ich mich, oder mag ich mich nicht?« Kann eine Katze mit einer so verdammt schwierigen Frage überhaupt fertig werden? Ich weiß von vielen Menschen, die ihr ganzes Leben nach der richtigen Antwort gesucht

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