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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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ihren ersten Computer (meinen ehemaligen) einzutippen. Sie hatte außerdem gerade an ihrem ersten Fahrrad ihren ersten Platten und war von dieser Erfahrung völlig überwältigt. Ich musste den Reifen reparieren. Mein Sohn brauchte auch täglich den Vater – um seine neu gelernten Judo-Übungen und Tricks an mir als Sparring-Partner auszuprobieren. Beide Kinder brauchten mich außerdem noch als Schlichter in ihrem endlosen, von Geburt an andauernden Streit, bei dem es stets um eine gerechte Verteilung der Güter ging.
    Man erkennt unschwer, dass ich anders als Thoreau, der sein Leben der Keuschheit verschrieben hatte, nicht einfach so Adieu sagen konnte. Thoreau war ein alleinstehender Asket gewesen, ein überzeugter Single im Wald, der sich vor einer imaginären »Gesellschaft« im Dickicht versteckte. Ich als mehrfacher Familienvater musste mir dagegen mein Recht auf Abenteuer hart erkämpfen. Das Familienleben besteht aus ständigem Feilschen und Kompromisseschließen. Wir fanden auch in diesem Fall einen Kompromiss: Ich durfte für ein paar Tage in den Garten ziehen, und die Familie durfte mich jeden Tag besuchen.
    Abends ging ich durch die Kolonie, um die Gärten einmal um diese Zeit zu erleben. Überall waren an Masten und Lauben große und kleine Deutschlandfahnen gehisst. Bei einigen, wie zum Beispiel bei Günther Grass, handelte es sich um DDR-Fahnen mit Hammer und Zirkel in der Mitte, es gab aber auch rein schwarz-rot-goldene. Ich überlegte, wofür diese Farben stehen mochten. Das Schwarz sollte wahrscheinlich an die dunklen Seiten der deutschen Geschichte erinnern. Es war nicht immer alles rund gelaufen in Deutschland. Rot – das waren die hart erkämpften demokratischen Freiheiten. Und das Gold stand natürlich für die Sozialhilfe.
    Zu meiner Verwunderung musste ich feststellen, dass ich nicht der Einzige war, der sich entschlossen hatte, im Garten zu übernachten. Die Parzellen waren voll. In den Gärten unter den Flaggen saßen Männer in Unterhosen und Frauen mit großen Hüten. Viele guckten Fernsehen. Die Hitze und die Fußballweltmeisterschaft, die unter dem lustigen Slogan »Die Welt zu Gast bei Freunden« stattfand, hatten die Menschen in den Garten getrieben. Draußen in der Stadt schweißte die Sonne die ganze Welt zu einem feuchten Klumpen zusammen, eingemottet in die Nationalfarben der teilnehmenden Länder. Im Schatten der Apfelbäume herrschten dagegen angenehme Temperaturen. Hier konnte jeder, der eine Laube mit Stromanschluss besaß, gemütlich unter dem eigenen Blätterdach Fußball gucken und dabei Billigbier trinken.
    Das gelb-blaue Brasilien schlachtete gerade das purpurrote Kroatien, als ich mich dem Vereinslokal näherte. Die Kneipe war fast leer. Nur vier obligatorische Biertrinker – drei Männer und eine Frau, die zum Mobiliar der Gaststätte gehörten –, saßen an einem Tisch in der Ecke unter den zahlreichen DDR-Wimpeln und -Pokalen. Sie griffen nach ihren Gläsern wie geübte Synchronschwimmer und schwiegen. Alle Geschichten waren längst erzählt. Im Fernsehen spielte inzwischen die Welt verrückt. Brasilianische Mädchen zogen sich auf den Tribünen aus, um ihre Mannschaft zu unterstützen, und die Kroaten hatten einen Flitzer, der auf das Fußballfeld lief, um dem Torwart einmal die Schuhe zu lecken. Die Vereinstrinker betrachteten angestrengt den vollen Aschenbecher in der Mitte ihres Tisches. Sie betrachteten ihn so intensiv, dass man das Gefühl hatte, noch ein bisschen, und der Aschenbecher erhebt sich in die Luft. Als ob sie damit ausdrücken wollten: Fußballweltmeisterschaften kommen und gehen, der Aschenbecher aber bleibt.
    Etwas abseits von der Runde, neben einem Dart-Spielautomaten, saß der bärtige Vereinswirt. In einer Hand hatte er eine Zeitung, die andere war eingegipst. Mit der Zeitung schlug er einer Fliege mehrmals auf den Kopf, die vor ihm auf dem Tisch tapfer hin und her lief. Die Fliege reagierte darauf mit einem leisen Summen. Auch die beiden kannten sich wahrscheinlich noch aus DDR-Zeiten. Draußen vor dem Lokal saß ein junges Pärchen – Kleingartennachwuchs. Das Mädchen hatte ihren Kopf in den Schoß des Jungen gelegt, und er streichelte zärtlich ihr Haar. Neben ihnen hing an dem Anschlagsbrett hinter Glas ein Papier mit der Überschrift: »Festgestellte Mängel bei der Gartenbegehung am 27. 05. 2006«. Der Autor dieses Papiers geißelte das verbrecherische Treiben der Gärtner und drohte mit weit reichenden Konsequenzen in einer Sprache,

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