Mein Leben in 80 B
Keanu Reeves und Leonardo di Caprio gerade für Dreharbeiten eingeflogen. Solltest du von einem der beiden angegraben werden, ignorier unsere Verabredung und mach dir einen tollen Tag und eine noch tollere Nacht. Ich hab dich lieb, und es ist sehr, sehr schön, dass du da bist.
Typisch für meine Freundin: Sich erst Gäste einladen und sie dann zur Mast zu befreundeten Restaurantbesitzern abschieben. Ich schenkte mir einen Kaffee ein und wagte einen Blick in den Kühlschrank. Ein Erdbeer-Joghurt ohne Fett, eine angebrochene Flasche Orangensaft, eine geschlossene mit Champagner, ein Camembert, der schon die besten Zeiten hinter sich hatte, und eine fast volle Packung Knäckebrot. Alles andere hatten wir wohl gestern Abend weggefuttert. Wunderbar, zog über Kellner und Köche her, lagerte aber knusprige Brotscheiben in der Kälte. Nebenan im Frühstückscafé wurden wahrscheinlich gerade Eier für mich gekocht, denn wie ich Elissa kannte, hatte sie garantiert heute früh telefonisch an mein eventuelles Eintreffen erinnert.
Mir war aber überhaupt nicht nach Essen. Ich war noch satt vom Vorabend und außerdem glücklich darüber, dass die von uns geleerten Flaschen mir keinen Schädel beschert hatten. («Du musst zum Wein basisches Wasser mit viel Hydrogencarbonat trinken, das gleicht die Säure im Wein wieder aus», hatte Elissa befohlen.) Also würde ich in Ruhe duschen, mich anziehen und schminken, zu Hause bei meiner Familie anrufen, um nachzufragen, ob alles in Ordnung war, und dann meinen geplanten Einkaufsbummel starten. Essen konnte ich unterwegs, und heute Abend würde ich ohnehin wieder gestopft werden. Denn ich sollte nicht nur den Koch kennenlernen, sondern auch einige Kleinigkeiten für die morgige Geburtstagsfeier verkosten.
***
Ich war froh, dass ich mich entschieden hatte, für die Reise meinen Daunenmantel anzuziehen. Inzwischen war zwar die Sonne zwischen den Wolken herausgekommen, aber von der Nordsee wehte ein eiskalter Wind. Bevor ich durch die Geschäfte zog, wollte ich eine Nase echte Seeluft schnuppern und war über die Rote-Kreuz-Straße zunächst in Richtung Strand spaziert.
Die Nordsee lag grau vor mir, der aufgekommene Wind peitschte ab und an gelbliche Gischt ans Ufer, der Strand war zu dieser Jahreszeit nicht einladend golden, sondern graubraun und nass. In den Pfützen, die nach der Flut zurückgeblieben waren, gefror das Wasser, am Flutsaum reihten sich Muschelreste an Stöckchen und kleine Steine. Die Wolken machten den Eindruck, als müssten sie noch irgendeinen Zug erwischen, so schnell zogen sie über den Himmel. Weit draußen konnte ich ein Schiff erkennen, vielleicht die Fähre von Rømø, sofern die auf dieser Seite der Insel überhaupt entlangschipperten, vielleicht irgendein Frachter. Die Strandkörbe, die im Sommer im bunten Getümmel die blau-weiße Oberhand hatten, waren jetzt im Winterlager, sodass der Strand einen ungewohnt leeren Anblick bot. Zwei dick eingemummelte Spaziergänger stemmten sich gegen den Wind in Richtung Wenningstedt, und neben mir zog sich ein junger Mann mit einem kleinen Hund die Mütze noch etwas tiefer ins Gesicht, bevor er die Stufen zum Strand herunterstapfte. Es roch wunderbar frisch nach Meer, und ich spürte förmlich, wie der Sauerstoff sich einen Weg durch meine Blutbahnen suchte. Aber auch wenn es sich großartig anfühlte, hier zu stehen und aufs Meer zu schauen, musste ich bald aufgeben. Es war einfach zu kalt.
Daher drehte ich um und spazierte über die Lornsenstraße Richtung Strandstraße. In der Fußgängerzone herrschte deutlich weniger Betrieb als bei meinem letzten Besuch auf der Insel im Sommer vor drei oder vier Jahren. Es gab auch weniger Möglichkeiten, draußen einen Kaffee zu trinken. Im Sommer nutzten die Wirte jedes freie Eckchen für Tische und Stühle, sodass man vor lauter Menschen nur sehr wenig Bewegungsfreiheit zwischen den Läden hatte. Stattdessen hatten die Westerländer Gastronomen nun auf jedem freien Fleckchen Wärmepilze aufgestellt. Menschen in Fellstiefeln, Moonboots, Designersteppjacken und mit goldgerandeten Sonnenbrillen stießen mit Champagner auf die Weihnachtstage an. Alle Geschäfte waren verschwenderisch geschmückt, elegante Lichterketten wechselten sich ab mit aufgesprayter Schaufensterdekoration und schlichten Tannengestecken. In mir machte sich endlich der erste Hauch von Weihnachtsstimmung breit. Wenn auch ein ähnlicher Betrieb herrschte wie an einem Sonnabend auf dem Ku’damm in Berlin,
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