Mein Leben in 80 B
Comic-Hund darüber ins Leere.
Im ersten Fahrstuhl gab es nur zwei Knöpfe, einen fürs Erdgeschoss und einen für das Restaurant im vierten Stockwerk des Hotels. Also sauste ich in gefühlter Lichtgeschwindigkeit an allen fremdvermieteten Betten vorbei. Wenige Sekunden später öffnete sich die Fahrstuhltür vor meinem Ziel.
Beim Eintreten in das Restaurant war ich einen Moment sprachlos. Von hier oben hatte man einen phantastischen Blick auf die Nordsee. In der Ferne blinkten die Lichter von Schiffen. Der Mond, der inzwischen in voller Pracht am Himmel stand, zauberte silberne Sterne auf die Brandung. Durch die fast sichtbare Kälte vor den Fenstern wirkte die Atmosphäre hier drinnen noch heimeliger. Der Eingang zum Restaurant war mit Elchen aus dunklem Holz und kleinen Weihnachtsbäumchen mit glänzenden roten Schleifen weihnachtlich geschmückt. Auf den Tischen traten ihre winzigen Zwillingsgeschwister an. Etwas kitschig, aber mir gefiel’s. Dazu roch es leicht nach Zimt und Rotwein und ganz entfernt nach gebratenem Fleisch.
«Ilse, hier bin ich, huhuuuuu!»
In einer Tonlage deutlich über Zimmerlautstärke rief mich Elissa von einem Tisch am Fenster. Sofort drehten sich mindestens zwanzig Leute in dem gut gefüllten Restaurant erst zu ihr, dann nach mir um. Ich beeilte mich, zu meinem Platz zu kommen, und ließ mich schnaufend auf einen Stuhl gegenüber von Elissa fallen.
«Puhhh. Hallo. Wartest du schon lange?»
«Nö, aber ich habe uns schon mal einen Sekt bestellt.» Sie beugte sich über den Tisch und griff nach meinen Tüten. «Was hast du denn alles eingekauft? Ist ein tolles Kleid für morgen Abend dabei?»
«Mitbringsel für Toni, Oma Etti und die Kinder. Und superbequeme Schuhe habe ich gefunden, schön warm für die Spaziergänge beim Skiurlaub nach Weihnachten.»
«Bequem? Ich dachte, du lässt es mal richtig krachen und gönnst dir was von deinen Schlüpfer-Piepen. Mensch, Ilse, wenn ich deine Beine hätte, wäre ich heute sofort in den ersten Schuhtempel gewandert und hätte mir richtig scharfe Stiefel geholt. So bis übers Knie, was meinst du, was Toni für ein Auge reißt, wenn du damit nach Hause kommst!»
Sofort fing ich wieder an, mich und meinen Mann zu verteidigen: «Das ist gar nicht notwendig. Toni liebt mich auch in bequemen Schuhen. Und im Schnee würde ich mir ohne wasserfeste Treter sofort Frostbeulen holen. Außerdem habe ich schon schwarze Overknee-Stiefel, habe ich sogar mitgebracht. Vielleicht ziehe ich die morgen an, damit du mich nicht länger für einen modischen Totalausfall hältst.»
Elissa lächelte mich entschuldigend an. «Sorry, Süße. Ich hab es ja nicht so gemeint. Du Ärmste, wahrscheinlich wünschst du dir jetzt, zu Hause bei deinen Liebsten zu sitzen und hausgemachte Spaghetti von Oma Nudel zu essen, statt dir hier mein Genöle anzuhören.»
Gespräche unter Freundinnen waren einfach etwas Wunderbares.
«Ach, Quatsch. Zu Hause sitzen wir gar nicht alle abends zusammen. Hanna ist oft bei Freunden. Toni hat in letzter Zeit so viel zu tun in der Agentur, dass ich froh bin, wenn wir uns zum Frühstück sehen, und Tom muss zeitig schlafen gehen, wenn am nächsten Tag Schule ist.»
«Klingt so gar nicht nach trautem Heim und glücklicher Familie. Bist du zufrieden mit deinem Leben und mit deinem Mann?»
«Was heißt denn hier trautes Heim?» Wie oft hatten wir über dieses Thema in alkoholgeschwängerten Nächten schon diskutiert und waren doch nie einer Meinung gewesen? «Es ist doch vollkommen normal, wenn man nicht dreimal täglich zusammen die Mahlzeiten einnimmt. Wie soll denn das auch gehen, wenn die Eltern beide arbeiten wollen? Und nur weil man wegen seines Berufs viel unterwegs ist und gern viel arbeitet, heißt das nicht, dass man gleich die ganze Beziehung in Frage stellen muss. Eine Ehe über lange Jahre ist auch Arbeit, man muss sich anstrengen, sich nicht gehenlassen und versuchen, für den Partner attraktiv und interessant zu bleiben.»
«Aus welcher Frauenzeitschrift hast du denn diese Weisheiten?», konterte Elissa unnachgiebig.
«Nun lass uns doch nicht über Toni und die Kinder reden. Ich genieße es gerade, alleine unterwegs zu sein und mich um nichts kümmern zu müssen. Es ist phantastisch, wieder auf Sylt zu sein, ganz wunderbar und sehr entspannend», lenkte ich Elissa von ihrem alten Thema ab. «Weißt du noch, was für großartige Sommer wir hier hatten? Und nun sitzen wir hier in einem feinen Restaurant und können es uns so
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