Mein Leben in 80 B
ein Kellner meinen Kaffee an den Tisch brachte. «Elissa, der könnte unser Sohn sein, der ist doch höchstens zwanzig. Wie schafft so ein Junge es überhaupt, Küchenchef in einem erstklassigen Restaurant wie diesem zu werden?»
«Also, erstens sieht der nur aus wie zwanzig und ist in Wirklichkeit schon über dreißig. Und zweitens ist er einfach super in seinem Job», setzte Elissa zu einer geradezu überschwänglichen Lobeshymne an. «Wahrscheinlich kommt es ihm entgegen, in der Küche zu stehen und sich mit den Kollegen nur über Handzeichen und Pfannenschwenken zu verständigen, ein großer Redner ist der Mann nämlich nicht gerade. Friese eben!»
Während Elissa redete und redete, fragte ich mich, ob sie bisher lediglich seine Kochkünste getestet oder seine Qualität auch in anderen Bereichen abgecheckt hatte.
«Er hat noch echte Leidenschaft für seinen Beruf, und er liebt es, mit Gewürzen und Kräutern zu experimentieren und etwas Neues in der Küche zu schaffen. Das schmeckt man. Oke hat schon als Jugendlicher im Restaurant seines Onkels in Rantum ausgeholfen. Der hat sein Talent erkannt und ihm dann nach Feierabend immer ganz besondere Koch-Aufgaben gestellt.»
Himmel! Wahrscheinlich würde meine Freundin als Nächstes die Biographie dieses Küchenmeisters schreiben. Mit ihrer Begeisterung war sie auf jeden Fall noch lange nicht am Ende.
«Nach seiner Ausbildung ist er auf dem Motorrad um die halbe Welt gereist und hat überall in die Töpfe geguckt, sich inspirieren lassen und Dinge gegessen, die wir nicht einmal ins Haus lassen würden. Das bringt einen natürlich auf ganz neue Ideen. Der traut sich was, und allein das sollte ihm bald einen ersten Stern einbringen. Ich muss wirklich sagen, ich habe lange, lange nicht so gut und so besonders gegessen. Und wenn
ich
das sage, dann …»
«… ist das ein echtes Kompliment», vollendete Oke den Satz und stellte ein Tablett mit Schälchen und kleinen Tellern auf den Tisch. «Bitte schön, Ladys, eine
creation de l’amour
, wie ich immer sage, anlässlich eines ganz besonderen Festes.»
«Das will ich wohl meinen.» Elissa griff nach ihrem Sektglas. «Meinst du, es könnte noch einmal jemand nachschenken?»
Oke winkte einem Kellner, um Elissas Wunsch zu erfüllen. Dann sah er mich an, blickte auf den Dessertteller, sah wieder mich an und wieder die Nachspeisen, griff schließlich nach etwas, das wie ein Himbeertörtchen für Zwerge aussah, und hielt es mir vor den Mund. «Mund auf, Augen zu. Sag mir, was du schmeckst.»
Es kam mir seltsam vor, mich von dem Jüngling füttern zu lassen, aber ich wollte keinen Aufstand machen. Bisher hatten mich die Kostproben aus der Küche ja eher angenehm überrascht. Also schloss ich die Augen. Ich spürte die Wärme von Okes Fingern vor meinen Lippen, roch das Aroma der Beeren – und noch irgendetwas Süßes. Fühlte, wie das Törtchen in meinen Mund geschoben wurde, und begann zu kauen. Wohlige Wärme breitete sich in mir aus, wie nach einer Massage oder einem langen heißen Bad.
«Lass die Augen geschlossen, entspann dich», dirigierte Okes sanfte Stimme meine Geschmacksnerven. «Konzentrier dich ganz auf den Geschmack, auf die Süße, die Schärfe und die Säure. Sag mir, was du erkennen kannst.»
«Hey, was ist denn das für eine Sonderbehandlung? Und ich?» Elissa gab sich Mühe, beleidigt zu klingen. Dabei wusste ich, dass sie sich nicht viel aus Nachspeisen machte.
«Baschilikum!» Endlich wusste ich den ersten Geschmackseindruck einzuordnen. Ungewöhnlich zu den Himbeeren, aber köstlich. Ich öffnete die Augen und überlegte, was ich als Nächstes probieren wollte.
«Yes!!» Oke streckte eine Faust in Siegerpose in die Luft. «Ich wusste, dass du eine Geschmacksexpertin bist. Himbeeren mit einem Hauch Basilikum und rotem Pfeffer auf einem Bett aus Baiser und weißer Schokolade.»
«Na, ich weiß nicht. Geschmacksexpertin?», maulte Elissa. «Ilse trinkt ja immer noch Rotwein aus dem Supermarkt wie zu unserer Studienzeit, obwohl ihr Mann Italiener ist und genug Geld verdient, um wöchentlich Kisten aus seiner Heimat einzufliegen. Und sie kann durchaus mal ein paar Tage nur belegte Brote essen, ohne das Gefühl zu haben, ihr würde etwas fehlen.»
«Gegen eine gut gemachte Schnitte ist doch nichts einzuwenden. Wenn das Brot gut ist, kann das ein tolles Erlebnis sein», verteidigte Oke mich, griff nach einem anderen Törtchen und ließ es wieder auf meinen Mund zuschweben.
«Euer Brot hier
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