Mein Leben in 80 B
weiße Bodenvase mit einer einzelnen dunkelroten Amaryllis, an der gegenüberliegenden hing ein überdimensionales gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto von der Manhattaner Skyline. Darunter war ein künstlicher Kamin an die Wand montiert, in dem ein Ethanol-Feuer brannte. Ein Flachbildschirm an der Wand und eine moderne und sehr teure Design-Stereoanlage waren die einzigen schwarzen Gegenstände in dieser Hälfte des Zimmers, die schwarze Treppe in der Mitte bildete einen gewollten Kontrast zu dem hellen und gemütlichen Bereich, in dem wir saßen.
Obwohl es schon spät am Vormittag war, waren wir beide noch im Schlafanzug und nippten an der gefühlten siebten Tasse Kaffee. Die Dessertauswahl am gestrigen Abend hatte sich schwieriger gestaltet als zunächst angenommen – je mehr Dessertweine ins Spiel kamen, desto kniffliger. Beim eisgekühlten Champagner hätte ich schon nicht mehr sagen können, ob ich Schokolade oder Kirschen auf den Törtchen schmeckte. Aber dank des basischen Wassers war mir auch heute ein Schädel erspart geblieben.
Für ein Frühstück fehlte uns beiden noch der Platz im Magen, also hatten wir uns mit Kaffee versorgt und angefangen, über unser Leben zu plaudern.
«Als wenn Sex immer das Wichtigste wäre.» Ich fragte mich, wie wir auf dieses Thema gekommen waren.
«Weich nicht aus! Ich hatte jedenfalls vor gut drei Wochen ein Date mit einem wesentlich jüngeren Mann, den ich auf einer Party getroffen habe. Wir kamen ins Quatschen, es gab reichlich Alkohol dazu, und dann hab ich ihn mit zu mir genommen. Ich war schon fast nackt, als wir aus dem Fahrstuhl gestiegen sind und …»
«Herzlichen Dank. Noch genauer möchte ich es gar nicht wissen. Und was heißt denn bitte ‹wesentlich jünger›? Ein Freund von deinem Koch?»
«Na, ich habe nicht nachgefragt, aber ich nehme mal an, er war bestimmt unter dreißig. Sehr knackig, Sixpack und die richtigen Muskeln da, wo sie sein sollen. Und noch heiß darauf, es mir zu besorgen. Nicht so ein alter abgeschlaffter Sack, der sich am liebsten einen blasen lässt und dann wegpennt.»
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder Entrüstung vortäuschen sollte. «Das ist ja ekelhaft. Du weißt schon, dass es einen Ausdruck für Frauen wie dich gibt? Habe ich gerade erst in einer Zeitung gelesen: ‹Berglöwin›. Nach der Faustregel muss die erfolgreiche Frau zum Zeitpunkt der Einschulung ihres Lovers mindestens volljährig gewesen sein.»
Elissa winkte gleichgültig ab. «Das kommt wohl hin. Ist doch nichts dabei, guck dich mal um: Madonna, Demi Moore, Susan Sarandon. Männer dürfen doch auch Freundinnen haben, die wesentlich jünger sind. Wusstest du, dass man bei denen das eigene Alter durch zwei teilt und dann plus sieben rechnet? Haut fast immer hin, achte mal drauf. Außerdem hast du immer noch nicht auf meine Frage geantwortet.»
«Ach, Elissa, ich führe doch nicht Buch darüber, wann, wie lange und in welcher Stellung ich mit Toni Sex habe.»
«Solltest du aber. Ich bewundere dich. Ich kann einfach nicht verstehen, wie man jemandem mehr als fünfzehn Jahre treu sein kann.» Sie schüttelte ungläubig den Kopf. «Bei mir entpuppen sich die Typen leider spätestens nach ein paar Wochen als totale Loser. Oder sagen wir, ich habe bisher noch niemanden gefunden, der es wert gewesen wäre, dass ich für ihn all meine Freiheiten aufgebe. Hast du dich nie in jemand anderes verknallt, einfach so? In Hannas Mathelehrer zum Beispiel oder in einen Praktikanten in Tonis Firma?»
«Spinnst du? Im Übrigen hat Hanna in Mathe eine Lehrerin.» Ich stand auf, um mir aus der Küche ein Glas Wasser zu holen, bevor ich einen Koffeinschock bekam.
«Ich will dich ja nicht zu Dingen verführen, die du gar nicht willst. Aber manchmal denke ich, es würde dir ganz guttun, ein wenig lockerzulassen. Es schadet doch nichts, mal ein bisschen herumzuknutschen. Falkensee ist weit weg auf dem Festland, das würde Toni nie im Leben erfahren.» Elissa sprach lauter, um diesem spannenden Thema bloß keine Pause einzuräumen. «Oke fand dich toll. Was mich überhaupt nicht wundert, so, wie du seine Köstlichkeiten vertilgt hast. Ein größeres Kompliment kannst du einem Kerl, der so in seinem Beruf aufgeht wie Oke, gar nicht machen. Der hat ja gestern mehr gesprochen als normalerweise in einer ganzen Woche. Und heute Abend sind auf der Party auch ein paar sehr interessante Männer dabei.»
«Ach, daher weht der Wind.» Ich ließ mich wieder in den Sessel fallen. «Du versuchst,
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