Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Leben in 80 B

Mein Leben in 80 B

Titel: Mein Leben in 80 B Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Goerz
Vom Netzwerk:
sich auf seinen durchtrainierten Bauch.
    «Stimmt es eigentlich, dass die dicken die besseren Köche sind?» Ich drehte mich langsam Richtung Ausgang.
    Ich hatte genug gesehen und gehört, wollte wieder raus aus der Küche und mehr Sekt trinken. Außerdem war es fast Mitternacht, und ich musste mich langsam nach Elissa umsehen, wenn ich ihr als eine der Ersten gratulieren wollte.
    «Also, die dicken Köche sagen: Die dünnen Köche sind so dünn, weil sie schlecht kochen. Die dünnen Köche behaupten, die dicken sind die schlechten Köche, weil sie alles selber essen müssen», erklärte der dünne Koch Oke.
    «Und was glaubst du?»
    «Ich glaube, dass das Gewicht des Küchenchefs überhaupt nichts über die Qualität des Essens aussagt.» Während wir Richtung Ausgang spazierten, schaute Oke sich in der Küche um, räumte hier eine Gewürzdose in ein Regal und stellte dort ein benutztes Glas in ein Spülbecken. «Das ist wie bei jedem anderen Menschen auch: Wer viel und fett isst und sich nicht bewegt, der wird dick. Ich koche leicht und esse viele kleine Portionen. Und in meiner Zimmerstunde zwischen Mittagstisch und Abendessen gehe ich oft mit den Kollegen Fußball spielen.»
    «Am Strand?»
    Eine Truppe Köche in weißen Kitteln und mit hohen Mützen kickend auf dem Sand am Meer. Seltsame Vorstellung.
    «Nee, da ist es jetzt viel zu kalt, und im Sommer liegen da die Touristen, die haben das nicht so gern, wenn man um sie herumdribbelt. Die Hotelgäste würden sich schön beschweren, wenn über ihren Köpfen gekickt würde.» Er deutete in Richtung des Restaurants. «Ein Stück weiter gibt es einen Campingplatz mit einer Sporthalle, die wir benutzen dürfen. Da ist im Winter eh nicht viel los. Manchmal gehen wir auch Badminton spielen, oder ich jogge eine Runde oder gehe schwimmen. Dann bin ich abends weniger müde.»
    Dieser Mann wäre auch mit zwanzig Jahren mehr auf dem Buckel viel zu sportlich für mich gewesen. Ich hatte schon meine liebe Mühe damit gehabt, Toni davon zu überzeugen, dass Laufen für mich Quälerei und keine Erholung war. Aber jemand, der derart vielfältig in der Auswahl seiner sportlichen Betätigungen war, würde seine Liebste sicher nicht auf dem Sofa zurücklassen, wenn der Bewegungsdrang kam.
    «Und wie findet deine Freundin das, wenn du den ganzen Tag im Restaurant bist und dann nicht einmal die Mittagspause mit ihr verbringst?»
    Bohh, ich hätte mich ohrfeigen können, plumper ging es ja wohl kaum. Schnell drehte ich mein heiß werdendes Gesicht von Oke weg. Die automatische Tür öffnete sich, und wir tauchten wieder in die Musik und Partystimmung ein.
    «Ich habe keine Freundin. Die meisten Kollegen hier sind überzeugte Singles – wir sind mit der Küche verheiratet. Ich bin an sechs Abenden pro Woche hier im Restaurant und normalerweise erst nach Mitternacht wieder zu Hause. Das macht auf Dauer keine Frau mit.» Fast sah er zerknirscht aus. Oder traurig? «Soll ich dir noch etwas zu trinken holen?»
    Irgendwie war ich wegen der nicht vorhandenen Freundin erleichtert. Galt es eigentlich bereits als Untreue, wenn man sich gewissen Vorstellungen hingab? Konnte ich mit meiner Ehe komplett zufrieden und gleichzeitig froh darüber sein, dass Oke keine Freundin hatte? Hatte ich nicht kürzlich in einer Zeitschrift gelesen, dass Untreue nicht zwangsläufig ein Symptom des Mangels sein musste? Ehrlich gesagt, war es mir nach dem ganzen Essen und den Getränken viel zu anstrengend, darüber nachzudenken. Ohnehin wurde ich gerade abgelenkt, weil Oke seine Hand auf meinen Ellenbogen legte und mir einen Augenblick zu lange in die Augen sah. Er roch unheimlich gut nach Zimt oder Vanille oder beidem.
    «Ob du noch etwas trinken möchtest, habe ich gefragt.» Oke tippte mir auf den Oberarm.
    «Ja. Ich, ähhh … Ja, ich nehme gerne noch einen Sekt. Danke.»
    Oke ließ meinen Arm los, lächelte kurz und verschwand in der Menge.
    Ich sah mich nach Elissa um. Nach einer Weile entdeckte ich sie vor den Fenstern des Restaurants auf der überdachten Terrasse. Eingekuschelt in das Sakko eines Mannes, mit dem sie sich angeregt unterhielt, stand sie da und hauchte ihren warmen Atem in die eiskalte nordfriesische Winterluft. Über dem Meer war es inzwischen stockdunkel, nur ab und zu blitzte eine Welle auf, wenn sich das Mondlicht darin spiegelte. Die Zeit hatte Elissa offensichtlich komplett vergessen. Bis Mitternacht waren es nur noch wenige Minuten. Außer mir standen noch eine Reihe anderer Gäste

Weitere Kostenlose Bücher