Mein Leben in 80 B
das konnte ich später herausfinden. Ich griff nach der Speisekarte und vertiefte mich in das Mittagsangebot.
«Karte könnt ihr vergessen, ich habe etwas für euch vorbereitet», unterbrach er mich, kaum hatte ich zu lesen angefangen, und fuhr dann an Oke gerichtet fort: «Wenn du magst, komm nachher in die Küche, dann stelle ich dir die Kollegen vor und zeige dir alles. Kannst bestimmt noch was von mir lernen.» Er lachte, klopfte dann mit der Handfläche auf den Tisch und stand auf. «Lasst es euch schmecken. Bis später.» Und ging, nicht ohne mir ein letztes Lächeln zu schenken und Oke zuzunicken.
«Netter Typ. Überhaupt sehr schön hier», stellte ich anerkennend fest.
«Du müsstest mal im Sommer herkommen.» Oke deutete in Richtung Terrasse. «Da hinten auf dem Dach hat Danijel einen Kräutergarten eingerichtet, mitten in der Stadt, das ist schon einzigartig. Und die Idee, mittags kleiner portionierte Gänge zu servieren, funktioniert hervorragend.»
«Wäre das auch was für dein Restaurant?»
«Nee, auf Sylt würde das nicht funktionieren. Da frühstücken die Leute spät und reichlich und gehen dann am Abend schön essen. Aber was den Kräutereinsatz angeht, kann ich mir bestimmt noch etwas von Danijel abgucken.»
Zwei Kellner kamen an unseren Tisch und stellten zeitgleich die kleinen Teller mit dem obligatorischen Gruß aus der Küche vor uns ab. Einer der beiden kommentierte, was uns da grüßte: glasierter Räucheraal mit Pumpernickel, Schwarzwurzeln und Meerretticheis, angerichtet wie bei einem Shooting für ein Edel-Kochbuch. Eigentlich aß ich lieber Stracciatella, aber nur im Sommer. Zu dem Fisch war das Meerretticheis ein echter Knaller, scharf, aber durch die Konsistenz auch wieder mild. Köstlich.
Während die Kellner Wasser nachschenkten, teilten sie uns mit, dass Herr Kresovic auch die korrespondierenden Weine für uns ausgesucht habe. Ich kam gar nicht dazu einzuwenden, dass ich keinen Alkohol mehr trinken wollte. Egal, sollten sie bringen, was der Weinkeller hergab. Ich würde einfach nur an meinen Gläsern nippen. Auf keinen Fall wollte ich wieder so die Kontrolle verlieren wie an unserem ersten Abend. Schließlich war ich hier, um herauszufinden, ob Oke in meinem Leben eine Rolle spielte – und wenn ja, welche.
Die Vorspeise bestand aus einer gebratenen Garnele mit Avocadocreme. Aber weil ich so damit beschäftigt war, Oke anzusehen und seinen Restaurant-Geschichten zuzuhören, konnte ich mich auf das kunstvoll arrangierte Essen kaum konzentrieren. Beim Hauptgang (Rinderfilet mit Steinpilzen, Blaubeeren und Molejus) verstummte mein Gesprächspartner und gab sich ganz dem Essen hin.
«Himmel, ist das gut», schwärmte er. «Auf die Idee wäre ich nie gekommen, es statt der roten Früchte zu so einem winterlichen Gericht mit Blaubeeren zu versuchen. Muss ich mir merken.»
Als mir endlich klarwurde, dass Oke mich nur eingeladen hatte, um nicht allein essen zu müssen, und keinesfalls, weil er mir gegenüber besondere Gefühle hegte, geschweige denn einen Plan für nach dem Essen hatte, war ich fast ein wenig enttäuscht.
«Was ist denn eigentlich Molejus?», fragte ich, um mich abzulenken und außerdem das Gespräch unverfänglich wieder in Gang zu bringen.
«Mole ist eine scharfe Kakao-Gewürzmischung, mit der der entfettete eingekochte Fleischfond oder Bratensaft, also Jus, abgeschmeckt wird. Du bist doch die Feinschmeckerin, wenn du die Augen schließt, schmeckst du bestimmt eine Menge heraus.»
Ich versuchte es. Tatsächlich, wenn ich mich ganz auf den Geschmack konzentrierte, konnte ich einiges erkennen. «Schokoladenaroma? Oder Marzipan? Warte … Nüsse!» Ich öffnete die Augen wieder.
Oke grinste. «Gar nicht schlecht. Ist aber bei Mole schwierig, weil es so viel ist. Es ist eine mexikanische Mischung aus Kakao, schwarzem Pfeffer, Chili, Knoblauch, Zimtblüten, manchmal auch Anis und Vanille. Ein tolles Gewürz. Auf meiner Karte in Westerland habe ich Kaninchenrücken mit Karotte in Kaffeebutter und Molejus.»
Typisch Oke, beim Thema Kochen und Essen kam er ins Plaudern. Was unsere gemeinsame Nacht auf der Insel anging, herrschte Schweigen. Schließlich brachten die überaus freundlichen, aber höflich zurückhaltenden Kellner das Dessert: einen lauwarmen Glühweinkuchen mit Valrhona-Schokolade, Vanille- und Mandarinensorbet. Auch der Nachtisch sah aus wie gemalt.
«Bevor du fragst, Valrhona ist eine der ersten Adressen für Schokolade in Frankreich. Die
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