Mein Leben in 80 B
dafür, dass meine sexuelle Anziehungskraft in den vergangenen Monaten – oder Jahren – doch stark nachgelassen hatte.
Ich nahm die Wolldecke vom Fußende des Sofas, rollte sie zusammen und bettete vorsichtig Tonis Kopf darauf. Murrend ließ er sich gefallen, dass ich seine Beine auf die Polster hob. Dann zog ich meinen Morgenmantel aus und deckte ihn damit zu.
Kurz überlegte ich, ob ich Tonis Handy auf neue Nachrichten oder häufig gewählte Nummern kontrollieren sollte. Aber das erübrigte sich, als ich feststellte, dass er das Gerät in die vordere Hosentasche gesteckt hatte. Wenn ich danach griff, würde er sicher aufwachen. Und bei unserer «leidenschaftlichen» Vergangenheit wäre es mehr als unglaubwürdig, mich dann mit einem Annäherungsversuch herauszureden. Auch ein erneutes Checken seiner Mails und der besuchten Internetseiten sparte ich mir, denn das helle Licht des Computerbildschirms hätte ebenfalls nur den Schlaf des Ehebrechers gestört.
Ich fühlte mich erschöpft und unglaublich müde. So musste es sein, wenn man meinte, man hätte einen Berg erklommen, und am Ziel erkannte, dass man lediglich einen Aussichtspunkt erreicht hatte und der Gipfel noch in weiter Ferne lag. Keine eindeutigen Beweise, keine Spuren, keine Ergebnisse. Vielleicht würde ich am Morgen klarer sehen.
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18. Kapitel
Als ich am nächsten Morgen beim Frühstück saß, klingelte es an der Tür Sturm.
Hanna war bereits im Unterricht. Tom hatte ich zur Mutter eines Schulfreunds gefahren, die die beiden später in die Schule bringen würde, denn die Jungs starteten heute zu einer dreitägigen Klassenfahrt. Toni hatte nach dem Aufstehen und einem innigen Abschied von Tom im Stehen schnell einen Espresso getrunken, irgendetwas von «Kunde meldet sich gleich im Büro, Videokonferenz» gemurmelt, mir einen hastigen Kuss auf die Wange gegeben und dann eilig das Haus verlassen. Nicht einmal ein Dankeschön für das Zudecken in der Nacht. Ich konnte mir bestens vorstellen, wie dieser «Kunde» aussah und was während dieser Konferenz so passierte.
Todunglücklich hatte ich danach am Küchentresen gesessen und in meinen Milchkaffee geweint. Ich bedauerte mich selbst. Hatte ich nicht immer alles für meine Familie und vor allem für meinen Mann getan? Was sollte werden, wenn jetzt alles auseinanderbrach? Mitten in meine furchterregenden Gedankengänge bimmelte unerbittlich die Türglocke. Wahrscheinlich wieder irgendein Paketbote.
«Hallo, schöne Frau! Wie Sie aussehen, haben Sie wohl nicht mit Besuch gerechnet. Werden Sie demnächst wirklich erst vierzig? Was ich vor mir sehe, lässt eher auf ein Alter nahe der sechzig schließen!» Elissa lachte und zog mich in ihre Arme. «Hey, Süße, mach mal den Mund wieder zu und lass mich rein, es ist arschkalt hier draußen.»
«Was machst du hier? Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht mit dir.»
«Enttäuscht?» Elissa schob mich ins Haus und trat mit dem Fuß die Tür hinter sich zu, während sie ihren schicken roten Mantel aufknöpfte. «Ich soll in Berlin eine Fernsehproduktion beraten», erklärte sie mir, während sie aus den australischen Fellstiefeln schlüpfte und mich langsam vor sich her zurück in den Wohnbereich schob. «Die wollen eine neue Kochshow etablieren, bei der eine Hausfrau gegen einen Spitzenkoch antreten soll, und das Publikum entscheidet, was besser schmeckt. Um den Aufwand zu ermitteln und mögliche Kochkandidaten zu checken, haben die mich engagiert. Wenn die Sendung nicht gleich nach der ersten Werbepause wieder abgesetzt wird, habe ich bis zum Sommer ein ganz gutes Finanzpolster. Außerdem bin ich dann regelmäßig in Berlin, und wir können uns sehen. Toll, oder?»
Im Wohnzimmer angekommen, schaute sie sich um. «Wow, seit ich das letzte Mal hier war, hat sich ja einiges verändert. Die Sofas sind neu, nicht wahr?» Sie zeigte auf die breiten kuscheligen Sitzgelegenheiten links und rechts vom Kamin mit den unzähligen Kissen darauf. «Setzen wir uns? Machst du mir einen Kaffee? Ich bin heute schrecklich früh los, weil ich vor dem Termin unbedingt bei dir vorbeischauen wollte. Ans Telefon gehst du ja anscheinend gar nicht mehr. Kein Wunder. Vorgestern habe ich Oke getroffen, und der hat mir einiges erzählt. Was bei dir abgeht, ist ja schlimmer als bei
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
.»
Meine Freundin ließ sich seufzend zwischen die Kissen fallen und schloss die Augen. «Haach, eigentlich geht es dir doch wirklich gut hier.
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