Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
« plus vierzig Jahre ohne Bewährung. Nach der Urteilsverkündung wurde ich sofort aus dem Gerichtssaal und in einen Wagen gebracht. Als ich draußen durch die Menge ging, schrie jemand: » Du wirst sterben! « , und jemand anders schrie: » Nein, wirst du nicht! « Die Wagentür wurde zugeschlagen, und wir fuhren vom Parkplatz. Ich war unterwegs in die Todeszelle.
ZWEIUNDZWANZIG
Die Fahrt vom Gerichtsgebäude von Craighead County zum Tucker Max dauerte ungefähr drei Stunden. Das ist eine Ewigkeit für jemanden, der nicht weiß, was ihn erwartet. Jeder im Knast hat Horrorgeschichten über den Vollzug zu erzählen. Viele Leute denken, Gefängnis und Vollzug, das ist ein und dasselbe, und sie glauben zu wissen, wie es im Knast ist, weil sie mal wegen Trunkenheit in Gewahrsam genommen wurden. Aber so ein Knast ist ein Kindergarten. Im Strafvollzug erwirbt man einen Doktortitel in Brutalität.
Mein Geist war betäubt, und ich konnte nicht denken. Heute weiß ich, dass ich unter einer Kombination von Schock und posttraumatischem Stresssyndrom zu leiden hatte – das, was auch Soldaten nach einem Feuergefecht erleben. Ich zitterte unkontrollierbar, obwohl ich die Kälte draußen nicht spürte. Mein Leben war vorbei. Das war der einzige Gedanke, den ich halbwegs fassen konnte. Meine Hinrichtung war für den 5. Mai festgesetzt worden. Bis dahin waren es noch zwei Monate. Die Anwälte hatten mir gesagt: » Mach dir keine Sorgen; dein erster Hinrichtungstermin bedeutet gar nichts. Den kriegt jeder, aber einen Aufschub gibt’s dann automatisch. « Ich hätte gern gesehen, wie sie lachten, wenn es ihr Name wäre, der da auf einem Blatt Papier neben einem Datum stünde. Har har har, ihr Komiker. Der war wirklich gut.
Meine Anwälte waren so inkompetent, dass sie nicht einen Moment lang daran dachten, dass man einen Antrag ausfüllen musste, um einen Hinrichtungsaufschub zu erwirken. Sie fanden es heraus, kurz bevor es zu spät war – um ein Haar. Ich konnte ein Telefonat mit Glori führen, und sie erzählte mir, dass einer von ihnen dieses Versäumnis noch in letzter Minute irgendwie entdeckt hatte.
Die meisten Leute, die eine Haft antreten, bleiben zunächst im so genannten Diagnostischen Zentrum. Dort wird man auf Herz und Nieren untersucht, körperlich wie geistig. Ich glaube, Jason war ungefähr drei Wochen da, und Jessie mindestens ein knappes Jahr. Aber wenn man in den Todestrakt kommt, gibt es keinen Aufenthalt im Diagnostischen Zentrum. Was hätte das für einen Sinn? Auf körperliche und geistige Gesundheit kommt es kaum noch an, wenn du vor einem Exekutionskommando stehen sollst. Ich kam also direkt in den großen Bau.
Draußen war es dunkel, als wir vor dem Eingang hielten, aber das Gebäude war beleuchtet wie ein Weihnachtsbaum. Im Gefängnis werden die Lichter nie ganz abgeschaltet, und Suchscheinwerfer wandern unaufhörlich hin und her. Ich wurde vom Wagen in einen Wachtturm hinter dem Gefängnisgebäude geführt. Dort bekam ich eine Leibesvisitation und meine » Prison Whites « . So nennen sie den weißen Overall, den man tragen muss.
Irgendein fetter Clown in einer Polyesterhose und einem kurzärmeligen Hemd mit einem Ansteck-Schlips gab dort die Befehle. Er tat so wichtig, dass man hätte glauben können, er sei der Chef der Anstalt. Er hatte einen grässlichen Kleine-Jungen-Haarschnitt und den vorschriftsmäßigen Porno-Schnäuzer, und er war nicht der Direktor. In der ersten Woche erzählte ein Gefangener mir, er arbeite in der psychologischen Abteilung und habe überhaupt nichts zu sagen. Da es keinen Etat, keine Mittel und keine strukturelle psychologische Betreuung für die Insassen des Todestrakts gibt, gab es auch keinen professionellen Grund für seine Anwesenheit dort.
Das ist ein weit verbreitetes Phänomen in der Gefängnisindustrie – man nimmt ein paar Loser, die ihr Leben lang an der Supermarktkasse Lebensmittel eingetütet oder im Schnellimbiss gefragt haben: » Mit Pommes?? « , steckt sie in eine Wärteruniform aus Polyester, und sie blasen sich auf wie ein Kugelfisch und marschieren herum wie lauter kleine Hitler. Es ist der einzige Ort, an dem sie sich wichtig vorkommen können, und deshalb lieben sie diesen Job. Er ist ihr Leben, und sie würden lieber sterben, als ihn zu verlieren.
Der Clown schrie mir ins Gesicht: » Deine Nummer ist SK 931! Merk dir das! « In dem Moment warf ich zufällig einen Blick auf die Digitaluhr, und da stand 9:31. Ich fragte mich, ob die Nummer bei
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