Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
Hoffnung. Was ich in den Jahren seitdem herausgefunden habe, ist nur, dass es ihr Job ist, Hoffnung zu geben. Und eigentlich ist es eine Täuschung, denn Ron und Glori gehören wie alles andere zum vorher festgelegten Drehbuch der Verteidigung bei Gericht.
Am 26. Januar 1994 kam Jessie vor Gericht. Ich sah es in den Nachrichten in meiner Zelle, und es tat weh, dabei zuzusehen. Jessies falsches Geständnis war das Herzstück des Verfahrens, denn es war der einzige sogenannte Beweis, den der Staatsanwalt John Fogleman hatte. In den Köpfen aller zementierte es unsere Schuld und sorgte für unsere Verurteilung schon vor unserer eigenen Verhandlung. Am achten Tag wurde Jessie schuldig gesprochen und zu » lebenslänglich « plus zweimal zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt.
Auch wurden wir zum Gegenstand eines HBO -Dokumentarfilms. Am 5. Juni, einen Tag, nachdem die Polizei von West Memphis in einer Pressekonferenz bekannt gegeben hatte, sie habe die mutmaßlichen Mörder gefasst, sah eine HBO -Managerin namens Sheila Nevins einen halb versteckten Artikel in der New York Times und zeigte ihn zwei Regisseuren, Joe Berlinger und Bruce Sinofsky. Die Schlagzeile, » 3 Teenager aus Arkansas verhaftet wegen Mordes an drei Achtjährigen « , enthielt das Potential für einen provozierenden, sensationslüsternen Film über Satanismus, Menschenopfer und Ausschweifungen von barbarischem Ausmaß. Joe und Bruce reisten unverzüglich mit einem Team nach West Memphis und machten Interviews mit Einheimischen, den Eltern der Opfer, meinen Freunden und Bekannten, mit meiner und auch mit Jasons und Jessies Familie. Was dabei für sie zum Vorschein kam, war ein ganz anderer Sachverhalt. Joe und Bruce bestätigten beide, nach ihren Gesprächen mit den Einheimischen sei ihnen klar gewesen, dass wir drei für ein Verbrechen vor Gericht standen, das wir nicht begangen hatten.
Ein paar Wochen vor meiner Verhandlung wurde ich nach Jonesboro in das Gefängnis von Craighead County verlegt – vorgeblich, damit ich näher bei meinen Anwälten wäre und wir in den Wochen vor dem Prozess unsere Strategie planen könnten. Dort war es ganz anders als im Knast von Monroe County. Die Wärter waren allesamt grausam und niederträchtig. Sie redeten mit einem wie mit einer minderen Lebensform, ganz gleich, wie höflich und anständig man sich ihnen gegenüber benahm. Ich habe fast täglich erlebt, dass sie Gefangene schlugen. Jahre später, als ich in meiner Zelle im Todestrakt lag und die Nachrichten sah, erfuhr ich, dass fünf Wärter in Jonesboro entlassen worden waren, weil sie einem Gefangenen Handschellen angelegt und ihn bewusstlos geprügelt hatten. Sie wurden entlassen. Nicht vor Gericht gestellt. In den meisten Fällen werden sie nicht mal entlassen, sondern nur degradiert. Wer auf der Straße auf einen Mann zugeht und ihm ins Gesicht schlägt, kommt wegen Körperverletzung ins Gefängnis. Tut einer im Gefängnis das Gleiche, wird er degradiert.
Im Gefängnis dort war ein kleiner Mexikaner, der an katatoner Schizophrenie litt. Diese Geisteskrankheit veranlasste ihn, stundenlang bewegungslos in seltsamen Positionen zu stehen oder zu sitzen. Die Wärter schlugen ihn, nur um zu sehen, ob sie ihn dazu bringen konnten, sich zu bewegen. Es war ein Spiel für sie. Oft spuckten sie einem ins Essen, damit man sich wehrte, aber wenn man auch nur ein Wort sagte, riefen sie fünf oder sechs Kumpane, die einen zusammenschlugen. Hinter diesen Mauern gibt es keine Hilfe. Die Welt kümmert sich nicht darum.
In Jonesboro steckte man mich in einen Zellenblock für mich allein. Ich konnte mit niemandem reden, es gab keine Bücher, kein Fernsehen, keinen Hofgang. Ich war Tag und Nacht in einer leeren Betongruft eingeschlossen. Ich wusste, dass Jason im Nachbarblock war, denn dort war ein solcher Lärm, dass ich die Jungs durch die Wand hören konnte. Er war mit ungefähr zehn anderen in diesem Trakt. Es wäre ein gewaltiger Trost gewesen, mit ihm in einem Zimmer sitzen und reden zu können und vielleicht sogar herauszufinden, was schiefgelaufen war. Aber die Wärter sorgten dafür, dass wir uns nie zu Gesicht bekamen.
Ich versank immer tiefer in Verzweiflung. Wenn kein Wunder geschähe, würden wir im Gefängnis sterben. Es war geplant, Jason und mich zusammen vor Gericht zu stellen, obwohl die Anwälte sich mit Klauen und Zähnen dagegen wehrten. Jasons Anwalt wollte eine separate Verhandlung für ihn, um irgendwie Abstand zwischen ihm und meiner bereits
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