Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damien Echols
Vom Netzwerk:
feststehenden Schuld herzustellen. Anscheinend verlangte die ganze Welt laut heulend nach meinem Blut.

EINUNDZWANZIG
    Am 19. Februar 1994, dem ersten Tag unserer Verhandlung, gab man Jason und mir schusssichere Westen, die wir auf dem Weg ins Gericht und zurück tragen sollten. Die Stimmung war erregt, und die Polizei wollte kein Risiko eingehen. Wir würden jeden Tag mit einem Konvoi von Autos zum Gericht fahren – sechs Stück, um genau zu sein. Kaum hatten wir vor dem Gebäude angehalten, begann der Spießrutenlauf. Eine große Menge von Reportern und Leuten, die unseren Tod wollten, erwartete uns, und wir mussten mitten hindurchgehen wie Moses durch das Rote Meer. Das hasserfüllte Geschrei war so laut, dass man einzelne Stimmen nicht mehr unterscheiden konnte. Bei jedem Schritt schoben die Reporter uns Kameras und Mikrofone ins Gesicht und schleuderten uns ihre Fragen entgegen.
    Im Laufe der Zeit passierte etwas Interessantes: Leute, die uns unterstützten und an uns glaubten, tauchten nach und nach in der Menge auf, mal einer, mal zwei. Sie lächelten oder nickten mir zu, wenn ich hinein- oder hinausging. Meistens waren es Jungen oder Mädchen, die abseits des Gedränges standen, und viele waren schwarz gekleidet. Ich fing an, Zettel mit kleinen Gedichten zu bekommen, und jemand schickte mir eine einzelne rote Rose. Diese Unterstützer waren gegenüber denen, die uns hassten, in der Minderzahl, aber für mich waren sie sehr wichtig.
    Ein paar schräge Fälle waren auch dabei. Ron entwickelte ein Ritual, in dem er mich auf die Mädchen aufmerksam machte, die mich » mit den Augen fickten « , wie er sagte. Als ich eines Morgens aus dem Wagen stieg, kreischte ein Mädchen: » O mein Gott, er hat mich angesehen! « – als wäre ich John, Paul, George und Ringo in einer Person.
    Die Reporter waren am schlimmsten. Wenn die Leute wüssten, wie viel von dem, was sie in der Zeitung lesen oder in den Nachrichten sehen, verzerrt oder regelrecht gelogen ist, würden die Medienkonzerne bald pleitegehen. Ich habe in den Lokalnachrichten mehr Fiktion gesehen, als ich in allen Romanen gelesen habe. Sehr oft hatten die Zeitungsberichte nichts mit dem zu tun, was ich im Gerichtssaal gesehen und gehört hatte. Wertvolle Informationen wurden verschwiegen und lächerliche neue Entwicklungen frei erfunden. Eines Tages saß ich in meiner Zelle und sah die Nachrichten, und die Sendung wurde wegen einer Eilmeldung unterbrochen: In dem inzwischen verlassenen Trailer meiner Mutter war ein Stock gefunden worden, an dem eine rote Substanz und Haare klebten. Nach dieser Ansage ging das reguläre Programm weiter – aber jeder sah hier eine potentielle Mordwaffe. Tatsächlich war es ein Rührstock, mit dem man einen frisch geöffneten Eimer Farbe umrührt. Meine Mutter hatte ihre beiden Zwergspitze mit einem gebrauchten Rührstock diszipliniert – und bevor jemand auf einen logischen Gedanken kommen konnte, hatten die Medien die Sache auf irgendeine Weise in die Finger bekommen. Oder ein späteres Beispiel für diese Hysterie: In einem Hearing nach dem Prozess wurde neues Beweismaterial vorgelegt – man hatte an einer der Leichen Bissspuren gefunden, und sie passten nicht zu meinen Zähnen. Am nächsten Tag stand davon nichts in der Zeitung.
    Burnett und Fogleman war die Anwesenheit der Medien willkommen, und sie (wie auch meine und Jasons Anwälte) waren bereit, Joe und Bruce zu erlauben, den Prozess für ihre HBO -Produktion zu filmen. Man möchte annehmen, dass sie dachten, sie würden am Ende des Prozesses im Mittelpunkt eines großen juristischen Triumphs stehen. Da Joe und Bruce mich oft im Gefängnis besucht hatten – vor dem Prozess –, hatte ich sie ganz gut kennengelernt und war inzwischen an die Kameras gewöhnt. Sie erörterten mit mir keine Einzelheiten des Falles, sondern befragtem mich zu meinem Hintergrund und meiner Kindheit, und oft wollten sie wissen, warum die Polizei sich auf mich als einen Verdächtigen konzentrierte. Auch Jason und Jessie interviewten sie ausführlich. Ihre Anwesenheit im Gerichtssaal war beruhigend; in einem Meer von empörten und wütenden Menschen waren die Gespräche mit ihnen und ihre Aufmerksamkeit das einzige Vertraute, was es in meinem Leben in dieser Zeit gab.
    Es ist nervenaufreibend, stundenlang, tagelang für eine Tat vor Gericht zu stehen, von der die Cops genauso gut wie du wissen, dass du sie nicht begangen hast. Du spürst, wie Hunderte von Blicken dich durchbohren und jede

Weitere Kostenlose Bücher