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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Damien Echols
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ich darauf gewartet, dass jemand durch die Tür kommt, mit dem ich ein Gespräch führen kann, aber das passiert einfach nicht. Die Gefangenen hier haben alle einen geistigen Defekt von leichter Zurückgebliebenheit bis zu extremer Schizophrenie. Andere stecken in einem Niemandsland zwischen Vernunft und Wahn. Geniale Verbrecher sind in diesen Fluren nicht unterwegs. Die meisten sind nicht nur kulturelle Analphabeten, sondern auch kaum in der Lage, sich in englischer Sprache auszudrücken. Ich habe noch keinen Gefangenen mit einem College-Studium kennengelernt, und die Highschool-Absolventen kann ich an den Fingern einer Hand abzählen. Fast alle stammen aus bettelarmen Verhältnissen, und die meisten sind auf diese oder jene Weise misshandelt worden. Kein Einziger wäre fähig, in der Gesellschaft normal zu funktionieren, und sie werden es auch kaum lernen, solange sie in einer Zelle mit anderen eingesperrt sind, die genauso schlimm oder schlimmer sind. Ich habe noch nie eine Spur von » Rehabilitation « gesehen und auch kein Programm, das darauf abzielte. Die meisten Leute, die man im Gefängnis trifft, sind nicht zum ersten Mal da. Manche haben schon drei oder vier Mal gesessen, bevor sie im Todestrakt gelandet sind. Sie behaupten, sie hassen und verachten alles, was mit dem Gefängnis zusammenhängt, aber sie kommen doch immer wieder zurück. Es ist, als sammelten sie » Frequent Flyer « -Meilen in der Hölle. Sie können es selbst nicht erklären und greifen zu Ausreden wie » Es ist schwer, draußen zu bleiben, wenn man einmal drin war « . Was? Wieso? Es ist schwer, einer alten Frau nicht die Handtasche zu entreißen? Es ist schwer, sich eine Vergewaltigung zu verkneifen? Du bist aus Versehen in ein Haus eingebrochen? Hast unbeabsichtigt ein Auto geklaut? Ich verstehe nicht, warum sie die Lektion nicht beim ersten Mal lernen. Das an sich ist schon ein Beweis dafür, dass sie ein paar Schrauben locker haben.
    Im Todestrakt hatten wir Fernsehapparate auf Gestellen, die ungefähr zwei Schritte vor den Zellen standen. Die Wärter mussten alle halbe Stunde einen Sicherheitsrundgang machen, und dann konnten sie den Kanal wechseln, wenn man wollte, aber das passierte nie. Ich habe schon erlebt, dass acht Stunden vergingen, ohne dass ein Wärter zu sehen war. Einmal lag ein Gefangener die ganze Nacht tot auf dem Boden, nachdem er einen Herzinfarkt erlitten hatte. Die Wärter fanden ihn erst nach dem Frühstück.
    Ohne die Hilfe der Wärter mussten wir selbst einen Weg finden, den Fernseher umzuschalten, und so erfand jemand etwas, das bald als » Channel Checker « bekannt war. Einen Channel Checker macht man aus Bastelpapier, einem Bleistift und geklautem Klebstreifen. Sie würden sich wundern, was für einen soliden Speer man aus diesen Materialien machen kann, und im Grunde ist ein Channel Checker genau das: ein Speer. Man kann ihn durch das Gitter vor der Zelle schieben und den Kanal am Fernseher wechseln.
    Im Geiste einer eskalierenden Kriegführung modifizierten ein Gefangener namens Chuckles und ein anderer, der als » Hobo « bekannt war, ihre Channel Checker so, dass sie maximalen Schaden damit anrichten konnten. Aus leeren Getränkedosen machten sie scharfe Spitzen und stachen einander dann durch die Gitter ins Gesicht. Das trieben sie mindestens eine Stunde lang, und beide bluteten, als sie schließlich keine Lust mehr hatten. Als jemand wissen wollte, wie es zu der ganzen Sache gekommen war, deutete Chuckles auf den Hobo und erklärte: » Er hat versucht, mich zu verleimen. « Kein Mensch wusste, was das bedeuten sollte, aber das war nichts Außergewöhnliches.
    Den Spitzamen Chuckles – » Kicherer « – habe ich ihm gegeben, und er ist an ihm hängen geblieben. Bald kannte ihn die gesamte Einwohnerschaft des Todestrakts unter diesem Namen, und er fing sogar selber an, sich so zu nennen. Es passte tadellos zu ihm. Chuckles ist ungefähr eins fünfundsechzig groß und durchschnittlich gebaut, und er sieht haargenau aus wie ein Opossum. Tatsächlich lautet sein zweiter Spitzname auch » Kid Possum « . Er hat nur einen Zahn im Mund, und der sitzt ganz vorn. Er behauptet, seine Zähne seien von Drogen zerfressen worden, aber ich glaube eher, dass es am Mangel einer simplen Mundhygiene gelegen hat. Chuckles’ Atem riecht wie der Atem eines Drachenbabys, und man hat ihn noch nie in der Nähe einer Zahnbürste gesehen. Ich habe ein einziges Mal versucht, nach ihm das Telefon zu benutzen, und von dem

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