Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
übergeben. Sie war sichtlich zufrieden mit ihrem Werk und begriff gar nicht, warum irgendjemand ihr nicht in staunender Bewunderung auf die Schulter klopfen sollte. Anscheinend sah sie sich als Mutter Teresa der Katzenwelt.
Das unglückselige Tier war eines Tages mit einem fast abgebissenen Bein nach Hause gekommen. Sie hatte die beiden Teile aneinandergedrückt und verbunden, wohl in der Hoffnung, dass sie auf wunderbare Weise wieder zusammenwachsen würden. Das taten sie nicht. Nach einer Weile setzte eine Gangrän ein, und die Katze fing an, nach faulem Fleisch zu stinken. Als meiner Mutter klar wurde, dass der Gestank nicht mehr nachlassen würde, rief sie den Tierarzt an und bat ihn um Rat. Der Arzt sagte, sie habe zwei Möglichkeiten: Sie lasse die Katze » einschläfern « , oder man könne das Bein amputieren, was aber für jemanden, der arm war, ein kleines Vermögen kosten würde.
Das Tier zu töten war eine unerträgliche Vorstellung für meine Mutter, und eine Amputation konnte sie nicht bezahlen. Also beschloss sie, selbst Hand anzulegen. Aus alten Filmen wusste sie, dass man Leute mit Äther betäuben konnte, und sie nahm an, dass das auch bei der Katze funktionieren würde. Der erste Schritt bestand darin, dass sie in einem Geschäft für Autobedarf einen Kanister kaufte, auf dem » Äther « stand. Da man nicht einfach in den Laden an der Ecke spazieren und Äther kaufen kann, weiß nur der Himmel, was wirklich in dem Kanister war. Sie goss die Flüssigkeit jedenfalls in ein Einmachglas und hielt den Kopf der Katze darüber, sodass die Patientin gezwungen war, die Dämpfe einzuatmen. Das Tier fing an zu zappeln, aber das war die einzige Wirkung.
Sie entschied, dass Tabletten die zweitbeste Möglichkeit seien, und durchsuchte ihren Medizinschrank. Die Katze wurde gezwungen, ein Valium und ein Muskelentspannungsmittel zu schlucken, das der Arzt meiner Mutter verschrieben hatte, und dazu genügend Schmerzmittel, um einen großen, erwachsenen Menschen umzuhauen. Nach ein paar Minuten bewegte sie sich überhaupt nicht mehr. Das einige Lebenszeichen war ein ununterbrochenes, lautes Schnurren, das aus dem kleinen, reglosen Körper kam.
Als Nächstes legte sie ihre chirurgischen Instrumente zurecht: einen Müllbeutel, eine große Schere und ein kleines Nähetui. Mit dem Müllsack bedeckte sie den Küchentisch, um die Schweinerei in Grenzen zu halten. Das Unglücksvieh wurde auf den behelfsmäßigen OP -Tisch gelegt, und meine Mutter griff zur Schere. Ihr wurde klar, dass sie den eigentlichen Schnitt nicht würde tun können, » weil die Katze mir zu sehr vertraute « . Also musste ihr neuer Ehemann sich an der Operation beteiligen. Der Mann nahm die Schere und trennte das kleine Bein mit einem ordentlichen Schnitt ab, während meine Mutter den Kopf der Katze hielt und sie tröstete, so gut sie konnte.
Der Stumpf wurde mit kaltem Wasser aus dem Hahn abgespült ( » Ich dachte, das kalte Wasser hilft, die Blutung zu stoppen « ), und die Wunde wurde mit Wasserstoffsuperoxyd und Franzbranntwein getränkt. Als sie feststellte, dass sie die Wunde nicht zunähen konnte, beschloss sie, ein neuartiges Produkt namens » Liquid Skin « – flüssige Haut – zu erproben. Dieses Zeug benutzte man normalerweise anstelle eines Pflasters, um eine kleine Schnittverletzung zu verschließen. Damit versiegelte meine Mutter den Beinstumpf der Katze.
Ich saß vornübergebeugt da und hielt mir den Kopf mit beiden Händen. Als ich wieder aufrecht sitzen konnte, sah ich, wie meine Mutter sich die letzten Krümel der Schweinekrusten von den Händen klopfte. Lorri sah aus, als hätte sie einen Schock.
» Und der Katze geht’s gut? « , fragte ich.
» O ja, prima. Manchmal fällt sie um, wenn sie das Gleichgewicht verliert, und manchmal vergisst sie, dass sie das Bein nicht mehr hat, und zuckt mit dem Stumpf, weil sie sich damit am Kopf kratzen will, aber ansonsten hoppelt sie wunderbar herum. « Sie war sichtlich stolz auf sich und strahlte vor Vergnügen.
Mütter sind seltsame Wesen. Wir denken immer gleich daran, dass sie es sind, die uns nähren, aber da ist zugleich auch eine merkwürdige Dunkelheit, die im Zusammenhang mit Söhnen sehr viel tiefer ist als bei Töchtern. Für eine Mutter ist es ein Leichtes, eine unsichtbare Linie zu überschreiten und einen Sohn mit ihrer Güte zu versklaven. Es gibt nichts Abstoßenderes als einen Mann, der außerstande ist, sich von den Schürzenbändern seiner Mutter zu befreien.
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