Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
finanziellen Zuwendungen an meinen Rechtshilfefonds und die hingebungsvolle Energie, mit der er für meine Freilassung eintrat, markierten einen Wendepunkt in den Jahren der Arbeit an meinem Fall. Eddie hat sich immer wieder als treuer Freund erwiesen. Wie viele Rockstars kennen Sie, die einen auf der Durchreise im Gefängnis besuchen? Es ist immer ein Riesenspaß, wenn er vorbeikommt und von seinen neuesten Abenteuern erzählt.
Nach zehn Jahren bekamen Jason und ich einander zu sehen. Es war an einem Freitagnachmittag im Jahr 2004, als Lorri und ich bei unserem wöchentlichen Picknick waren. Als ich aufblickte, sah ich ihn zehn Meter weit entfernt im Flur. Er schaute durch ein Fenster zu mir heraus, hob die Hand und lächelte, und dann war er verschwunden wie ein Geist. Ich wünschte, ich hätte mit ihm sprechen können, und sei es nur, um zu sagen: » Halte einfach durch. «
Das Gleiche sage ich mir auch immer wieder.
Halte einfach durch.
FÜNFUNDZWANZIG
Heute habe ich das rituelle Gebet zum heiligen Schutzengel dreimal absolviert. Heute Morgen gegen halb neun, am Mittag, und gegen achtzehn Uhr dreißig. Ich habe das Gebet genau so rezitiert, wie es bei Abramelin geschrieben steht, und dann noch einmal in meinen eigenen Worten, so tief empfunden wie möglich. Der Reiz des Neuen verflüchtigt sich allmählich, sodass es mir beinahe wie Arbeit vorkommt, aber aus irgendeinem Grund, den ich nicht näher umreißen kann, spüre ich, dass mein Zutrauen in diese Prozedur langsam zunimmt.
Ich habe geträumt, ich kämpfte in der Straße in Lakeshore, in der ich gewohnt habe, mit einem Löwen und einem Hund. Ich sperrte das Maul des Löwen mit beiden Händen auf, obwohl das ungeheuer schmerzhaft war, und ich hielt den Löwen zwischen mir und dem Hund, sodass der Hund jedes Mal, wenn er mich anspringen wollte, den Löwen biss. Schließlich gelang es mir, durch das Tor zu schlüpfen und es hinter mir zu schließen.
Heute hatte ich bei meinem letzten Gebet eine angenehme Erfahrung. Ich kniete mit gesenktem Kopf, als ich plötzlich das Gefühl hatte, in einen Raum hinunterzuschauen. Die einzige Beschreibung, die ich davon geben kann, ist die, dass alles weiß und – ich möchte fast sagen – aus Marmor war. Ich schaute von oben aus fünfzehn bis dreißig Metern hinunter, aber ich sah den Raum nicht mit meinen Augen.
Von der Ekstase zur Plackerei. Das Gefühl, ich stehe am Rand von etwas sehr Großem, verwandelt sich in Furcht vor der nächsten Gebetsrunde.
Alles wie gestern. Nur Arbeit, keine Freude in dem Ritual. Ich hoffe auf einen neuen Aufschwung. Ich habe heute ungefähr zwanzig Minuten lang Hatha-Yoga-Asanas gemacht, um mich zu lockern. Ich stelle fest, dass das Schutzengelritual, wenn ich erst mal damit angefangen habe, sehr wohltuend ist. Es liegt etwas Zeitloses darin. Angst macht mir nur der Gedanke, damit anzufangen. Ich empfinde es dann, wie ein Kind seine Hausaufgaben empfindet.
Da ist kein Engel. Da ist nichts.
Alles ist zersplittert, und die Splitter von allem nähern sich einander, stoßen zusammen und entfernen sich, um wieder zusammenzustoßen.
So etwas wie Magick gibt es nicht.
Ich habe alles Vertrauen, allen Glauben verloren. Ich taumele am Rande der Hoffnungslosigkeit. Alles ist Kampf, und ich bin so müde. Ich bin des Kämpfens so müde, und ich möchte schreien, bis ich mit meinem eigenen Blut gurgele.
Die Träume kommen schnell und schneidend. Träume von der Freiheit. Das Aufwachen tut so weh.
Die Zeit löst sich von mir. In manchen Augenblicken fühle ich keine Vergangenheit mehr, die ich hinter mir herziehe wie eine abgestreifte Schlangenhaut, keine. Und manchmal kam es mir so vor, als sei die Vergangenheit das einzig Reale. Heute war ich zwei Menschen, und der eine hat über den anderen gelacht.
Der Sommer bedrängt mich wie ein Geist. Ich würde vor Sehnsucht weinen, wenn es nicht so sinnlos wäre.
Nichts ergibt irgendeinen Sinn. Es scheint zwecklos, sich zu bemühen. Alles fällt auseinander. Heute in genau sechs Monaten werde ich zweiunddreißig Jahre alt sein.
Meine Erschöpfung geht tiefer als bis ins Mark. Sie ist in meine Seele gesickert, und jeden Tag raubt sie mir ein bisschen mehr von dem, was ich einmal war. Was ich sein sollte. Hier gibt es keine Ruhe, und es gibt kein Leben. Wenn ich versuche, nach vorn zu schauen, scheint das Licht jeden Tag ein bisschen weiter weg zu sein. In meinem Atem ist Verzweiflung, und kein Retter ist in Sicht. Man sagt, der Tod ist es erst,
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