Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
schnell hier drin, und sie riecht wie verfaultes Fleisch. Jeder Tag vergrößert ihr Gewicht ein wenig; anfangs merkst du es kaum, aber irgendwann wird es dich zerquetschen. An diesem Ort bemisst sich dein Leben danach, wie lange du den Kampf fortführen kannst. Die Vampire können es spüren, wenn noch Leben hinter deinen Augen ist, und sie rücken an, um es auszulöschen. Wärter, Gefangene, Verwaltung – die Spirale der Energie führt abwärts, eine höllische Wendeltreppe, die nirgends ankommt. Am meisten beängstigt dabei, dass sie allesamt zu dämlich sind, um zu begreifen, was sie da tun. Anscheinend glauben sie, wenn sie immer weiter im selben Loch graben, erreichen sie irgendwann den Himmel.
Meine Erschöpfung reicht tiefer als nur bis ins Mark. Sie ist in meine Seele gedrungen, und jeden Tag raubt sie mir ein bisschen mehr von dem, was ich einmal war. Was ich sein sollte. Hier gibt es keine Ruhe, es gibt kein Leben. Wenn ich versuche, nach vorn zu schauen, scheint das Licht mit jedem Tag ein wenig weiter weg zu sein. Ich atme Verzweiflung, und ein Erlöser ist nicht in Sicht. Es heißt, der Tod ist es nur dann, wenn du es akzeptierst, aber in letzter Zeit habe ich mehr und mehr das Gefühl, mir bleibt nichts anderes übrig. Ich sage mir immer: » Ich will nicht aufhören. Ich will nicht aufhören. « Vielleicht nur aus diesem Grund will ich, dass es so ist. Wenn alles andere scheitert, werde ich nur mit Hilfe meiner Willenskraft weitermachen. Irgendwo, irgendwie verborgen, muss die Magick liegen.
Ich habe heute einen Blick auf meinen Schatten werfen können. Normalerweise ist er schwer zu sehen, weil er sich immer hinter mir versteckt. Den der anderen sieht man viel leichter.
Meine Mutter und Jack gingen nur ein paarmal miteinander aus; ihre Gespräche fanden anscheinend zum größten Teil auf diesem verfluchten Parkplatz statt. Nach der Kirche holte meine Großmutter uns immer vor der Tür ab; sie war klug genug, diesen Laden zu meiden. Meine Mutter, meine Schwester und ich stiegen ins Auto, und dann schlurfte Jack mit den letzten der Herde aus der Kirche und kam geradewegs auf uns zu. Meine Mutter drehte das Fenster herunter, und dann stand er da und sprach mit ihr, bis alle anderen Autos vom Platz gefahren und unsere Gehirne in der brutalen Sommersonne gar gekocht waren. Jahre später, als ich lernte, was das Fegefeuer war, stellte ich es mir genau so vor: nicht ganz wie die Hölle, aber doch schlimm genug, um den Mistkerl zu verfluchen, der da am Autofenster hing und dich zwang, auf diesem trostlosen Platz alt zu werden.
Jack hatte eine Glatze, aber er praktizierte die Kunst des Überkämmens: Einen Haarkranz, der über den Ohren wuchs, kämmte er über den Schädel, der kahl wie eine Billardkugel war. Die meisten Zähne hatte er auch verloren; die wenigen, die er noch besaß, waren gelb und schief wie alte Grabsteine. Seine Haut war von der Sonne zu Leder gegerbt, und sein Bauch war geschwollen von Magengeschwüren. Ich fragte mich, was meine Mutter an einer solchen Kreatur anziehend fand, aber die Antwort ist ganz einfach. Jack Echols war der erste Mann, der meiner Mutter nach dem Abgang meines Vaters Aufmerksamkeit schenkte, und mehr war nicht nötig. Sie lechzte danach, und er gab sie ihr.
Jack zwang uns, am Gottesdienst in der so genannten Kirche Gottes teilzunehmen. Es war eine echte Freakshow; die Leute redeten wirres, unverständliches Zeug und wälzten sich schreiend auf dem Boden herum, wenn » der Geist sie überkam « . Der Pfarrer war ein krankhaft fettleibiger Mann, den man durch den ganzen Raum atmen hören konnte.
Jeden Sonntag predigte er zweimal, morgens und abends, vom bevorstehenden Ende der Welt. Bevor Schluss war, holte er immer eine Flasche Olivenöl hervor und fragte, ob jemand ein Leiden habe, das geheilt werden müsse. Wer sich meldete, bekam Öl ins Gesicht geschmiert und wurde dann unter lautem Geschrei zu Boden gestoßen, während eine Horde von tollwütigen Gläubigen mit den Armen fuchtelte und die Decke anheulte.
Auf meinen jungen Viertklässlerverstand machte das ziemlich großen Eindruck, und ich dachte oft über die vielen Wunder nach, die ich wirken könnte, wenn ich nur eine Flasche von diesem magischen Öl hätte. Meine Schwester ließ sich oft » heilen « , denn sie war schon als Baby schwerhörig gewesen und musste immer wieder irgendwelche Röhrchen in die Ohren geschoben bekommen. Aber sie ließ sich nie zappelnd zu Boden fallen, und sie hörte auch
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