Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
einmal aus dem Wasser zu stecken, um ein letztes Mal, wie ich glaubte, nach Luft zu schnappen. Und was sah ich, während ich ertrank? Meinen Großvater, der die Hände in die Hüften stemmte und lachte. Neben ihm stand meine Schwester; sie blinzelte in die Sonne und lachte auch. Meine Angst verdampfte in der glühenden Wut, die durch meinen kleinen Körper rauschte. Ich bekam die Leiter zu fassen und zog mich hoch.
Ein paar Augenblicke lang konnte ich nur husten und prusten und das Wasser aus meiner Nase schnauben, das meinen Kopf innerlich wie Feuer brennen ließ. Als ich wieder sprechen konnte, riss ich mir die Flossen von den Füßen, richtete einen anklagenden Finger auf die beiden und schrie empört: » Blöd! Ihr seid beide blöd! Das sag ich Mom! « Ich rannte ins Haus wie eine verbrühte Katze, und mein Großvater rief mir nach: » Spritz dieses Wasser ja nicht auf den Teppich! «
Meine Mutter war im Haus und faltete Wäsche zusammen. In einem einzigen Schwall spuckte ich die ganze schmutzige Geschichte aus und stampfte dabei wütend mit den bloßen Füßen. Meine Mutter hörte sich an, wie meine Schwester und mein Großvater lachend dabeigestanden hatten, während ich beinahe ertrunken wäre, und faltete einfach weiter die Wäsche zusammen. Stirnrunzelnd zündete sie sich eine Zigarette an und blies eine beißende graue Rauchwolke in die Luft, bevor sie vorschlug: » Zieh die Flossen einfach nicht wieder an. « Ich war verdattert und gekränkt. Ich hatte erwartet, bemuttert zu werden, aber stattdessen nahm niemand meine schreckliche Erfahrung ernst.
Manchmal gab mein Großvater seltsame und höchst suspekte Informationen an mich weiter. Oft ging es dabei um die Natur von Füßen. Er hatte jede Menge Zeit, über solche Rätsel nachzudenken, denn er saß die meiste Zeit still an seinem Stand auf dem Flohmarkt und wartete darauf, dass jemand kam und etwas kaufen wollte. Einmal hatte er mehrere große Kartons mit Socken erstanden, die er ausstellte. Ich konnte diese Socken nicht ausstehen. Sie hatten nicht mal andeutungsweise etwas Interessantes an sich. Ich spazierte über den Flohmarkt und betrachtete all die anderen Stände, auf denen immer seltsame und fantastische Dinge zu sehen waren. Nur bei meinem Großvater lag nichts als ein Haufen langweiliger Socken.
Ich aß meinen üblichen Sommer-Lunch, ein Sandwich mit Peanutbutter und Banane, und spülte es mit einer Dose Scramble-Limo herunter, und allmählich kam mir der Verdacht, dass sich jeder Weiße, der am Stand vorbeikam, kaum für die Socken zu interessieren schien und fast die Nase rümpfte, wenn mein Großvater versuchte, ihn auf seine Ware aufmerksam zu machen. Aber mir fiel auch auf, dass fast jeder Schwarze, der sich näherte, mindestens ein Paar, manchmal auch mehrere, kaufte. Ich fand das sehr merkwürdig.
» Wieso kaufen nur Schwarze die Socken? « , fragte ich Ivan zwischen zwei Bissen von meinem Sandwich. Er trank einen Schluck Kaffee und beäugte mich über den Rand seiner Tasse hinweg. » Weil sie keine kalten Füße haben möchten « , sagte er schließlich. Das kam mir höchst rätselhaft vor. Behandelten sie ihre Füße aus einem besonderen Grund so fürsorglich? Machte es Weißen nichts aus, kalte Füße zu bekommen? Ich selbst hatte durchaus etwas dagegen, aber ich hatte kein Verlangen nach Socken vom Flohmarkt.
» Wieso? « , platzte ich frustriert heraus. » Wieso wollen sie keine kalten Füße bekommen? « Er sah mich an, als sei ich verrückt geworden, und runzelte kopfschüttelnd die Stirn. » Weil sie sterben, wenn sie kalte Füße kriegen « , sagte er. Das war eine atemberaubende Enthüllung. Staunend fragte ich mich, warum sich in der Schule niemand die Mühe gemacht hatte, mir solche lebenswichtigen Fakten beizubringen. Ich hatte noch eine letzte Frage. » Sterben Weiße denn auch, wenn sie kalte Füße kriegen? « Er gluckste, wandte mir den Rücken zu und versuchte weiter, Kunden anzulocken. Dieses Gespräch blieb mir viele Jahre im Gedächtnis. Ich habe sogar einem Kerl im Todestrakt davon erzählt, und daraus wurde ein Running Gag. Wenn er sich an einem kalten Wintermorgen darauf vorbereitete, in den Hof hinauszugehen, rief ich zu ihm hinüber: » Vergiss nicht, Socken anzuziehen. Du weißt, was passiert, wenn du kalte Füße kriegst. « Dann lachte er und rief: » Du und dein Opa, der alte Rassist, ihr kriegt mich nicht dran. «
Noch ein Ereignis in meiner Jugend hatte mit meinem Großvater und mit Socken zu tun.
Weitere Kostenlose Bücher