Mein Leben ohne Limits
Zeitplan war wirklich eng. Denk dran, Gott verschwendet keine Zeit , ermahnte ich mich selbst. Dann kam die nächste Durchsage: An einem anderen Flugsteig stand schon ein Flugzeug für uns bereit. Gute Nachrichten!
Wir beeilten uns, zum neuen Gate zu kommen, stiegen ein und machten uns bereit für den Flug. Ich war erleichtert, bis ich merkte, dass die Frau neben mir leise weinte.
„Kann ich irgendetwas für Sie tun?“, fragte ich.
Sie erklärte mir, dass sie auf dem Weg zu ihrer fünfzehnjährigen Tochter war. Eine Routineoperation war schiefgegangen und nun schwebte sie in Lebensgefahr. Ich gab mir alle Mühe, die Mutter zu trösten. Fast den ganzen Flug lang unterhielten wir uns. Ich entlockte ihr sogar ein Lächeln, nachdem sie mir ihre Flugangst gestanden hatte.
„Wenn es schlimm wird, nehmen Sie einfach meine Hand“, sagte ich.
Nach der Landung bedankte sich die Mutter bei mir. Ich erwiderte, dass ich froh sei, nach so vielen Verzögerungen und Änderungen ausgerechnet neben ihr gesessen zu haben.
Gott hatte meine Zeit nicht verschwendet. Er wusste, was er tat. Ein bisschen hatte er nachgeholfen, damit ich neben dieser Frau sitzen konnte. Je mehr ich darüber nachdachte, desto dankbarer war ich für die Möglichkeit, dass ich ein bisschen für sie da sein konnte.
DER RICHTIGE BLICK
Ein Todesfall in der Familie, ein jähes Beziehungsende, ein finanzieller Rückschlag, eine plötzliche Krankheit – das sind alles Dinge, an denen man zerbrechen kann. Scheinbar geht alles den Bach hinunter. Behält man sich aber trotzdem den Blick für das Gute, müssen Trauer und Verzweiflung nicht das Leben beherrschen und man kann solche Zeiten durchstehen.
Ich lernte am Set von The Butterfly Circus die Fotografin Glennis Siverson kennen. Eigentlich lebt sie in Florida, aber das Ehepaar Weigel – die Regisseure und zugleich ihre Freunde – hatte sie nach Kalifornien eingeladen, um als Setfotografin zu arbeiten. Glennis hat schon viele Preise für ihre Fotos gewonnen und arbeitet für Zeitschriften, Konzerne, Tageszeitungen und Websites. Außerdem macht sie Porträtfotografie und Naturaufnahmen. Sie liebt die Fotografie. Es ist ihre große Leidenschaft.
Dabei hat sie vorher über zwanzig Jahre für verschiedene Firmen in der Personalabteilung gearbeitet. Während der Wirtschaftskrise verlor sie ihren „sicheren“ Job. Glennis nutzte die neue Freiheit und widmete sich ihrer Leidenschaft. Sie wurde Berufsfotografin.
„Ich dachte einfach: Jetzt oder nie!“, sagte Glennis zu mir.
Tolle Geschichte, oder? Glennis ist ein lebendiges Beispiel für jemanden, der ein negatives Ereignis in eine positive Chance verwandelt hat.
Aber da ist noch mehr. Glennis, die preisgekrönte Fotografin, kann kaum sehen. Sie gilt offiziell als blind.
„Schon als Kind konnte ich schlecht sehen“, erzählte Glennis. „Mit fünf Jahren bekam ich die erste Brille und es wurde immer schlimmer. Ungefähr 1995 diagnostizierte man eine Hornhauterkrankung. Meine Hornhaut war unförmig und degenerierte immer weiter. Irgendwann konnte ich mit dem linken Auge überhaupt nichts mehr sehen. Da ich extrem kurzsichtig war, kam auch eine Laserbehandlung nicht mehr infrage. Meine einzige Chance war eine Hornhauttransplantation.“
2004 wurde die Operation durchgeführt. Die Ärzte prognostizierten eine Wiederherstellung der Sehstärke des linken Auges auf fünfzig Prozent. „Aber alles, was schiefgehen konnte, ging schief“, sagte Glennis. „Mein Auge hatte ich zwar noch. Aber die Sehstärke war schlechter als vorher. Außerdem bekam ich grünen Star. Das linke Auge war nun gar nicht mehr zu gebrauchen. Und dann bekam ich unabhängig von der Operation im rechten Auge eine Netzhautblutung. Seitdem habe ich dort einen blinden Fleck.“
Nach zwanzig Jahren gekündigt und durch ärztliches Versagen fast blind – Glennis hatte jeden Grund, am Leben zu verzweifeln. Wer wäre an ihrer Stelle nicht frustriert?
Glennis ließ sich nicht unterkriegen. Sie fand sogar Grund dafür, dankbar zu sein. „Ich finde, ich bin nicht sehbehindert . Ich bin sehbeflügelt . Wegen meiner fehlenden Sicht bin ich eine bessere Fotografin geworden.“
Feine Details kann sie nicht mehr erkennen, aber sie sieht es dankbar und gelassen. Sie hält sich nicht mehr ewig an Kleinigkeiten auf.
„Wenn ich früher ein Porträtfoto machte, war jede Haarsträhne wichtig und die Perspektive musste hundertprozentig stimmen. Meine Arbeiten wirkten steif, weil ich so auf die
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