Mein Leben ohne Limits
Bildkomposition fixiert war. Heute lasse ich mich vielmehr von meinem Bauchgefühl leiten. Ich fühle das Bild. Ich sehe es vor dem inneren Auge und drücke auf den Auslöser. Mein Instinkt bestimmt die Arbeit. Und ich interagiere mehr mit den Menschen und der Umgebung.“
Sie mache nun Fotografien mit Fehlern, erzählte Glennis, dafür seien sie umso kunstvoller und auch fesselnder. „Eine junge Frau brach sogar in Tränen aus, als sie die Fotos von sich sah. Ich hatte sie einfach gut getroffen. Dass ich mit meiner Arbeit Menschen emotional berühre, war mir vorher nicht gelungen.“
Seit dem Verlust der Sehstärke hat Glennis zehn internationale Preise für ihre Porträts und Landschaftsfotografien gewonnen. Eins ihrer Bilder wurde aus sechzehntausend Einsendungen für eine Ausstellung mit nur einhundertelf Werken ausgewählt. Ihre Fotos wurden bei vier Ausstellungen im „Center for Fine Art Photography“ in Fort Collins, Colorado, gezeigt.
Mit der Sehbehinderung hätte Glennis ihre alte Arbeit in der Personalabteilung nicht fortführen können. Aber wie Monet, Beethoven und andere berühmte Künstler ließ sie sich von körperlichen Einschränkungen nicht aufhalten. Stattdessen nutzte sie die Chance, ihre Kunst neu zu entdecken und zu begreifen. Ihr Lieblingsvers in der Bibel ist: „Wir leben im Glauben, nicht im Schauen.“
„Das beschreibt mein Leben haargenau“, sagte mir Glennis. „Vieles musste ich in meinem Leben notgedrungen ändern. Ich fürchte mich auch davor, völlig blind zu werden. Manchmal habe ich riesengroße Angst, wie das wäre. Es gibt ja kein Handbuch fürs Leben, in dem man nachschlagen kann!“
Glennis betrachtet ihr Leben trotzdem nicht als zerstört, sondern als beschenkt. „Früher war ich ein Kontrollfreak. Heute lebe ich jeden Tag bewusst und freue mich über jeden schönen Augenblick. Ich versuche, dankbar zu sein für das Dach über dem Kopf, den Sonnenschein und dass ich leben darf. Über das Morgen zerbreche ich mir nicht den Kopf. Keiner weiß, was morgen kommt.“
Glennis hat es wirklich gelernt, das Beste aus ihren Möglichkeiten zu machen, oder? Ihr Durchhaltevermögen inspiriert mich. Ich hoffe, ihr Beispiel ist ein Anstoß für dich, kreativ zu werden. Wege zu suchen. Wohlüberlegt zu handeln. Und bereit zu sein, dem Ruf deines Herzens zu folgen.
KAPITEL11
Regeln für ein unverschämt gutes Leben
D
ie Hälfte der Fünf-Städte-Tour durch Indonesien lag hinter mir. Fünfunddreißig Vorträge in neun Tagen. Ich hätte hundemüde sein müssen. Aber manchmal bin ich während der Workaholic-Phasen so aufgedreht, dass ich nur schwer zur Ruhe komme. Wir waren auf dem Weg nach Java und bestiegen gerade das Flugzeug von Jakarta nach Semarang. Da spürte ich plötzlich, wie mich eine Welle der Energie überrollte.
Unsere Reisegruppe bestand aus fünf Leuten. Mein Pfleger Vaughan, ein großer, stämmiger und witziger Typ, gehörte auch dazu. Die Flugbegleiterinnen waren schwer beeindruckt von ihm und wir alberten mit ihnen herum. Wir durften als Erste ins Flugzeug, weil ich den Rollstuhl verlassen und zu meinem Sitz hopsen musste. Als ich mich so den Gang hinunterbewegte, Vaughan hinter mir, hatte ich auf einmal das Bedürfnis, etwas bestimmtes Verrücktes zu tun. Schon eine ganze Weile hatte ich mir vorgenommen, das einmal auszuprobieren.
„Hey, Vaughan, schnell, bevor die anderen kommen – heb mich hoch und schau mal, ob ich ins Gepäckfach passe!“ Wir hatten schon häufiger Witze darüber gemacht. Vor ein paar Tagen hatte Vaughan mich in den metallenen Gitterkasten gelegt, mit dem man prüft, ob das Handgepäck aufgegeben werden muss. Ich passte ohne Probleme hinein und bekam deswegen den Spitznamen „Unser Köfferchen“.
Die Gepäckablage war relativ hoch. Ich war mir nicht sicher, ob Vaughan meine knapp fünfunddreißig Kilo bis dahin stemmen konnte, aber er schaffte es mit Leichtigkeit. Er hob mich hoch und legte mich vorsichtig auf die Seite in das Fach, als wäre ich eine edle Tasche.
„Okay, mach schnell zu“, raunte ich, „bevor die anderen Passagiere kommen.“
Vaughan steckte mir noch ein Kissen unter den Kopf und drückte die Klappe zu. Nun lag ich im Dunkeln über den Sitzreihen. Die Flugbegleiterinnen hatten mitbekommen, was wir vorhatten, und konnten sich das Lachen kaum verkneifen. Wir kicherten wie Kinder und ich hatte schon Sorge, dass wir auffliegen würden. Aber die anderen Passagiere verteilten sich nichtsahnend im Flugzeug.
Meine
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