Mein Leben
bescheidenste im literarischen Leben Nachkriegsdeutschlands – zustünde.
Beschämt will ich die peinliche Wahrheit gestehen: Ich meinte wirklich, daß ich »ganz selbstverständlich« dazugehörte. Darauf zielte das Wort »wir« ab, das ich leichtsinnig gebraucht hatte und das mir offenbar nicht zukam. »Ich lud ihn wieder ein und immer wieder« – erinnerte sich Hans Werner Richter –, »doch er blieb irgendwie ein Außenseiter, einer der dazugehörte und doch nicht ganz dazugehörte. Ich kann nicht erklären, warum das so war oder warum ich es so empfunden habe.«
Konnte er es wirklich nicht erklären? Oder wollte er es nicht? Richter erwähnt in seinem Buch »Im Etablissement der Schmetterlinge«, daß ich dem Holocaust entkommen sei, doch kein einziges Mal, daß ich Jude bin. In diesem Buch finden sich noch drei weitere Aufsätze über Juden, die bei der »Gruppe 47« mitgemacht haben – über Peter Weiss, Wolfgang Hildesheimer und Hans Mayer. Doch sucht man auch hier das Wort »Jude« oder irgendeinen auf das Judentum anspielenden Ausdruck vergebens – dabei handelt es sich um Autoren, deren Persönlichkeit und deren literarisches Werk von der Zugehörigkeit zur jüdischen Minderheit und von der Vertreibung aus Deutschland in hohem, in höchstem Maße bestimmt wurden.
Nichts liegt mir ferner, als Richter auch nur des geringsten antisemitischen Ressentiments zu verdächtigen. Aber er hielt es für richtig und erforderlich, das Judentum der von ihm Porträtierten konsequent auszusparen: Sein Verhältnis zu Juden war auch vierzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs befangen und verkrampft. Dies ist, glaube ich, noch ein Umstand, der ihn zu einer typischen Figur seiner Zeit macht.
In den sechziger Jahren wurde die Bedeutung der »Gruppe 47« immer größer, ihre Rolle in der Öffentlichkeit immer deutlicher sichtbar. Das hatte zwei miteinander zusammenhängende Ursachen – einerseits den Erfolg vieler Schriftsteller, die mit dieser Gruppe identifiziert wurden, andererseits die nicht zu übersehende Tatsache, daß die als links geltende »Gruppe« unentwegt attackiert und geschmäht wurde, am häufigsten von der CDU.
Im Januar 1963 ging ein CDU-Politiker schließlich so weit – und das war wohl der Höhepunkt der öffentlichen Beschimpfungen –, sie als »geheime Reichsschrifttumskammer« zu bezeichnen. Die immer wieder zitierte und sogar zu einer Gerichtsklage führende Formulierung hat, eben weil sie so absurd war, die »Gruppe 47« außerordentlich popularisiert, mehr noch: Sie hat ihren Mythos begründet. Zu diesem Mythos und zu dem enormen Erfolg der »Gruppe« trug auch bei, daß Richter sich hartnäckig allen Versuchen widersetzte, sie auf irgendwelche Thesen oder Postulate, gar auf ein Programm festzulegen. Für Außenstehende war es unbegreiflich, daß er, seit Jahren politisch aktiv, sie eben nicht als politische Organisation verstand und dabei konsequent blieb: Als Martin Walser Anfang der sechziger Jahre aus ihr einen sozialdemokratischen Stoßtrupp machen wollte, kam es sofort zu einem ernsten Zerwürfnis zwischen ihm und Richter. Das Ergebnis: Walser mußte den Platz räumen.
So straff und streng Richter alles in der Hand hatte, so war ihm Rigorismus doch fremd: Ab und zu fielen Abweichungen von den ungeschriebenen Regeln auf. Warum wurden sie von Richter zugelassen? Um das Ganze gelegentlich etwas aufzulockern? Das mag sein. Aber wahrscheinlich war da noch ein ganz anderer Grund: Richter handelte so und nicht anders, weil es ihm gerade paßte, weil ihm ein wenig Willkür Spaß bereitete, weil diese »Gruppe« auch sein Privatvergnügen war. So durfte – um sich auf dieses Beispiel zu beschränken – Ingeborg Bachmann hier eine Rolle spielen, die im scharfen Widerspruch zu allem stand, was in der »Gruppe 47« üblich war, und die sich eigentlich mit ihrem Stil nicht vereinbaren ließ – eine Rolle, die einzig und allein ihr zugebilligt wurde.
Ich habe Ingeborg Bachmann zum ersten Mal 1959 gesehen, auf der Tagung in Schloß Elmau. Sie war längst berühmt, sie hatte 1953, damals 27 Jahre alt, den Preis der »Gruppe 47« erhalten. War man sich schon bewußt, daß man es mit der vielleicht bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerin unseres Jahrhunderts zu tun hatte? Jedenfalls wurde sie mit besonderem Respekt behandelt. Sicher ist ferner, daß sie viele Menschen faszinierte, zumal Intellektuelle unterschiedlichen Alters. In manchen Zeitungen konnte man lesen, sie sei die »First
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