Mein Leben
stand mir so nahe, keiner interessierte mich so sehr wie Gründgens. Das hat mit den Zeitumständen zu tun. 1934 wurde er, kaum 34 Jahre alt, von Göring zum Intendanten der Staatlichen Schauspiele in Berlin ernannt. Es gelang ihm, in verhältnismäßig kurzer Zeit aus dem Haus am Gendarmenmarkt Deutschlands bestes Theater zu machen. Damit hat er – das kann man gar nicht bezweifeln – dem Staat Adolf Hitlers gedient. Aber er hat zugleich (und auch das ist sicher) jenen gedient, die an der Herrschaft der Nationalsozialisten litten und mitten im »Dritten Reich« Trost und Hilfe suchten – im Theater, zumal bei den Klassikern. Und nicht zuletzt: Er hat das Leben von Menschen gerettet, die damals aufs höchste gefährdet waren.
Doch was mich reizte und irritierte, das war nicht etwa die imponierende Arbeit des Intendanten und des Regisseurs Gründgens, das war vielmehr seine schauspielerische Leistung. Wie haben sie mich beeindruckt: Werner Krauss, Emil Jannings, Eugen Klopfer, Heinrich George, Friedrich Kayssler, Paul Hartmann. Sie alle hatten ihre künstlerische Laufbahn im Kaiserreich begonnen und waren schon damals erfolgreich, ja zum Teil sogar berühmt. Ich schätzte sie außerordentlich, aber als zwar bewundernswerte, doch aus einer früheren Epoche stammende Mimen. Gründgens war jünger als die großen Schauspieler jener Zeit, er, den nicht das wilhelminische Deutschland geprägt hatte, sondern die Weimarer Republik, schien mir auch ungleich moderner.
Um die ihrer Ansicht nach dekadente Großstadtkultur, um das, was sie für verdorben, verächtlich und verwerflich hielten, zu charakterisieren, haben sich die Nationalsozialisten oft der Vokabel »Asphalt« bedient: Sie sprachen von der »Asphaltpresse«, der »Asphaltkultur« und, am häufigsten, von den »Asphaltliteraten«. Obwohl es Goebbels war, der diesen Begriff wenn nicht erfunden, so gewiß popularisiert hat, habe ich ihn gern, er gefällt mir: Sollte mich jemand heute als einen »Asphaltliteraten« bezeichnen, es würde mich nicht beleidigen, sondern freuen. Große Literatur ist, immer schon, in Großstädten entstanden: Die Schriftsteller, die ich hebe, kommen aus Stratford, aus Neuruppin, Auteuil oder Augsburg, aber berühmt wurden sie in London, in Berlin oder in Paris.
In Gründgens sah ich den typischen Repräsentanten der Kultur der zwanziger Jahre, eben der »Asphaltkultur«. Er blieb ihr im »Dritten Reich« treu. Mit dem Geist der Nationalsozialisten und dem Stil, der ihnen vorschwebte, hatte der Schauspieler Gründgens, der noch unlängst mit Erika Mann verheiratet und mit Klaus Mann befreundet gewesen war, nichts gemein, mehr noch: Ich hielt ihn für den Antityp der Zeit. Nicht Blut und Boden verkörperte er, wohl aber das Morbide und das Anrüchige, das Zwielichtige. Nicht die Helden spielte er und auch nicht die Gläubigen, sondern die Gebrochenen und die Degenerierten, die Schillernden. Er war ein Narziß und ein Neurastheniker, der Rollen bevorzugte, die es ihm ermöglichten, das Narzißtische und das Neurasthenische zu verdeutlichen und zu akzentuieren.
Seine Kunstauffassung, seine antiheroische Haltung, seine Vorliebe für die Zweifler, die Ironiker und die Skeptiker – das alles war genau das Gegenteil von dem, was die Nazis anstrebten, was sie lauthals verkündeten. Eben das glaubte ich zu spüren, sobald ich Gründgens auf der Bühne oder auch auf der Leinwand zu sehen bekam – zumal als Don Juan in Grabbes »Don Juan und Faust« oder als Prinz in der »Emilia Galotti«. Doch nirgends kam es stärker zum Vorschein als in seinem Hamlet.
Der Höhepunkt der künstlerischen Laufbahn von Gründgens war, da ist man sich einig, der Mephisto in beiden Teilen des »Faust«. Sicher, kein anderer Schauspieler unseres Jahrhunderts kann in dieser Rolle mit Gründgens verglichen werden. Ich werde seinen Mephisto nie aus dem Gedächtnis verlieren. Aber für mich, der ich als Jude im »Dritten Reich« lebte und dem die Angst in den Gliedern saß, war sein Hamlet von 1936 noch wichtiger. Es wurde schon oft gesagt, daß jede Generation im »Hamlet« sich selber gesucht und gefunden hat, die eigenen Fragen und Schwierigkeiten, die eigenen Niederlagen. Auch ich habe Züge und Umrisse meiner Existenz im nationalsozialistischen Deutschland im »Hamlet« wiedererkannt – dank Gründgens.
Er spielte einen jungen, einen vereinsamten Intellektuellen, der, von »des Gedankens Blässe angekränkelt«, isoliert ist. Man sah einen passionierten
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